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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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Anbetracht ihrer aggressiv rassistischen Einstellungen und der Tatsache, dass sie ihr dreijähriges Kind einfach so in einem anderen Land zurückgelassen hatte, um in London auf die Kacke zu hauen.
    »Was für ein Typ Frau ist sie?«, fragte Vera Oh ihre Kollegen, nachdem sie Cheryl-Anne aus Wagga Wagga verhört hatte. »Irgendwie maskulin, oder?«
    Aber Cheryl-Anne war auch der Typ Frau, der Tagebuch führt. Sie hatte ihre Aktivitäten in aller Ausführlichkeit festgehalten, hatte Kassenscheine und Fahrkarten auf die Seiten geklebt und war zu oft an ganz anderen Orten gewesen, um als zweite Mira Hindley an irgendeinem der fraglichen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein.
    Cheryl-Annes Handschellen wurden kurz nach denen von Zach geöffnet.
    Fünf …
    Was Fliss betraf, so war sie erst nach Celias Entführung in London angekommen. Ohnehin war sie nichts als ein flennendes Häufchen Elend, hatte Angst vor der Dunkelheit und konnte kein Blut sehen.
    Vier …
    Hamish war zu der Zeit, als Celia verschwunden war, in Ballarat in Australien gewesen.
    Drei … Zwei … Eins …
    Dann kam die Reihe an Pete, und nachdem sein Name durch den Computer gelaufen war, verzichteten sie darauf, Francesco und Bronny zu überprüfen, denn weder hatte Francesco den größten Teil seines Erwachsenenlebens im Knast verbracht, noch hatte Bronny eine Ledermaske unter ihrer Matratze versteckt.
    Pete schon.

33
    Während ich auf der Polizeiwache saß und auf meine Entlassung wartete, erinnerte ich mich an jene Nacht im polnischen Club. Vor lauter Ecstasy war ich völlig neben der Spur gewesen und hatte endlos von meinen neuen Freunden erzählt – dass Cheryl-Anne Erdnussschalen aß, dass Fliss selbst unter kurzen Röcken keine Unterhose trug. Ich erinnerte mich, wie unsterblich ich sie alle geliebt hatte.
    Als mich eine freundliche asiatische Polizistin zu den anderen Verdächtigen befragte, erzählte sie mir Dinge, von denen ich keine Ahnung gehabt hatte.
    Cheryl-Anne weigerte sich seit drei Jahren, mit ihren Eltern zu sprechen. Sie wollten, dass sie nach Hause käme, zu ihrer hübschen Tochter, aber sie hatte einfach keine Lust darauf.
    Ich wusste nicht, dass Fliss’ Verlobter ihr einen Tag vor der Hochzeit den Laufpass gegeben hatte, dass sie am Boden zerstört und wutzerfressen nach London gekommen war und auf einen Durchbruch als Model gehofft hatte, um triumphierend nach Hause zurückehren und sagen zu können: »Sieh mich an, du Scheißkerl, ich bin ein Supermodel, und selbst, wenn du auf Knien darum bittest, werde ich dir nie verzeihen!« Ich wusste nicht, wie hart sie an ihrer Karriere gearbeitet hatte, so wenig, wie ich wusste, dass sie sich nach Hunderten von Castings und Vorsprechen der Prostitution zugewandt hatte, um weiter ihre Fotomappe finanzieren zu können (nicht zu vergessen die Amphetamine, mit denen sie sich schlank hielt). Sie sei in der näheren Umgebung eine ziemlich bekannte Nummer gewesen, sagte die Polizistin, und habe kurz vor einem Hausverbot im Slug und Lettuce gestanden, weil sie die Toiletten dort als ihr Boudoir benutzt habe.
    Ich wusste nicht, dass Zach in seinem Zimmer genug Kokain für die Versorgung eines kleinen Landes gebunkert hatte.
    Dass Hamish sein Studium geschmissen hatte.
    Dass Pete ein Serienmörder war.
    Und die anderen hatten nichts von mir gewusst. Kein Einziger von ihnen wusste, dass ich jahrzehntelang Todesängste mit mir herumgetragen hatte; dass ich vor meiner Angst weggelaufen war und allmählich müde wurde. Keiner von ihnen wusste, dass ich große Teile meiner Jugend damit verbracht hatte, einem alten Mann auf einem brachliegenden Bahngelände bei der Pflege seiner Pferde zuzusehen, und dass ich nichts als Wut empfand, wenn ich am Grab meiner Mutter stand. Keiner wusste, dass ich für die Schweine betete, wenn sie in die Schinkenfabrik trotteten. Keiner wusste, dass ich mich verliebt hatte. Hals über Kopf.
    Ich unterschrieb einige Bedingungen für meine Entlassung. Es lief darauf hinaus, dass ich das Land nicht vor Prozessende verlassen durfte. Als ich meine Unterschrift unter den Text kritzelte, sah ich im Befragungsraum nebenan Pete. Er saß am Tisch und weinte. Hielt den Kopf in die Hände gestützt, während die Tränen über sein Gesicht rannen. Er fing meinen Blick auf und schüttelte den Kopf, als ob er sagen wollte: »Ich war es nicht.« Ich schüttelte meinen Kopf: »Arschloch.«
    Er winkte mich zu sich. Ich sah, dass er dem Polizisten, der ihn bewachte, eine Frage stellte.

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