Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
ein. »Marcel war an jenem Abend in Köln. Bei einer Filmproduktionsfirma. Er war schon am frühen Nachmittag zum Bahnhof gefahren.«
»Die HaBeFilms. Ich habe mit den Leuten gesprochen.«
»Ich war allein im Haus. Nein, natürlich nicht allein. Oben war ja Vicky. Fred war irgendwo im Nahen Osten unterwegs. Geld verdienen, das die beiden so dringend brauchten. Sie waren aus ihrer Wohnung geflogen, weil sie nicht einmal mehr die Miete bezahlen konnten.«
»Sie wussten, dass Ihr Mann und Frau Hergarden …?«
»Selbstverständlich wusste ich.« Kurz nagte sie an der Unterlippe. »Marcel und ich sind sehr offen mit solchen Dingen umgegangen. Dachten, Treue, das sei etwas für das Bürgertum. Fürs gemeine Volk. Wir, die Gotteskinder, lebten auf einem anderen Stern, haben wir uns eingebildet. Wir waren frei, wollten uns entfalten, selbst verwirklichen, in jeder Beziehung. Selbstverwirklichung, das war überhaupt unser Lieblingswort. Inzwischen scheint es ein wenig aus der Mode gekommen zu sein.«
»Aber es hat nicht funktioniert.«
Sehr langsam und sehr endgültig schüttelte sie den Kopf. »Es hat ganz und gar nicht funktioniert. Es gab Tage, da konnte ich recht gut damit umgehen. An anderen Tagen habe ich nur gelitten. Still gelitten, natürlich. Man wollte sich ja keine Blöße geben, als Gotteskind.«
»Und Frau Hergarden haben Sie vermutlich gehasst.«
Sie schwieg lange. Betrachtete ihre Hände, die locker in ihrem Schoß lagen. Ihr Kleid reichte bis über die Knie und wirkte auf mich irgendwie englisch. Es war nichts Besonderes, aber es stand ihr ungemein gut, da es in seiner Schlichtheit ihr aristokratisches Gesicht noch besser zur Geltung brachte. Ich habe es nicht nötig, meinen Reichtum zur Schau zu stellen, verkündete ihr Aufzug. Du weißt auch so, dass ich dich kaufen könnte, wenn ich nur wollte.
»Mit der Zeit ja«, gestand sie leise. »Ich habe Vicky nie besonders gemocht. Sie war mir zu … verzeihen Sie, es fällt mir kein treffenderes Wort ein … zu vulgär. Marcel wollte, dass die beiden hier einziehen. Er und Fred waren alte Freunde. Noch vom Studium her. Außerdem war ihm das Haus zu groß und zu still. Er war sie nicht gewohnt, diese Stille. Marcel stammte aus einfachen Verhältnissen. Seine fünfköpfige Familie war in einer Vierzimmerwohnung aufgewachsen. Später hat er dann in einer Studenten-WG gelebt, übrigens mit Fred zusammen. Und dann plötzlich das hier. Erst später ist mir aufgegangen, dass hinter seiner Hilfsbereitschaft vielleicht noch ein ganz anderes Motiv gesteckt haben könnte.«
»Lief die Beziehung zu Frau Hergarden schon, als die beiden hier einzogen?«
»Das weiß ich bis heute nicht. Ich denke aber, ja. Sie müssen sich vorstellen, hier war es nie so wie in normalen Ehen. In normalen Ehen weiß man immer, wo der andere gerade ist, was er tut, mit wem er zusammen ist. Abends und an den Wochenenden unternimmt man etwas gemeinsam, sieht fern, spielt Spiele. Bei uns wusste man selten ganz genau, wo der andere steckt. Ich hatte Proben, Marcel einen Vorsprechtermin oder Vertragsverhandlungen. Ich hatte am Abend Vorstellung, er am nächsten Morgen eine andere Verpflichtung. Wir waren nicht so oft zusammen, wie man sich das bei einem jungen Paar vorstellt.«
»Und an jenem Abend war Ihr Mann also in Köln …«
»Oben war es still. Manchmal hörte ich den Fernseher, hin und wieder Schritte. Ihre albernen Stöckelschuhe, die sie sogar zu Hause trug. Vermutlich, damit ich nicht vergaß, dass sie da war. Damit ich meine Blamage keine Sekunde verdrängen konnte. Ich hatte an dem Abend keine Lust auf Ablenkung. Sonst habe ich oft Musik gehört, wenn ich allein war. So laut, dass sie nicht mehr durchdrang. Oder Cello gespielt. Damals habe ich noch viel gespielt. Jetzt schon seit Jahren nicht mehr. Ich … Aber … aber an dem Abend – ich weiß nicht – ich konnte auf einmal keine Geräusche ertragen. Auch nicht die Schritte oben – ich wusste, sie sitzt da, hat vielleicht noch am Vormittag mit Marcel … Trinkt ein Gläschen Sekt auf ein paar aufregende Liebesstunden … Telefoniert vielleicht mit ihm. Ich habe einige Male versucht, ihn im Hotel zu erreichen. Aber sein Apparat war ständig besetzt.«
»Und irgendwann sind Sie nach oben gegangen …«
Sie nickte mit ausdrucksloser Miene, jetzt tief in Gedanken und Erinnerungen versunken. Sah endlich auf und in meine Augen. »Ja, Sie haben recht. Ich bin nach oben gegangen. Oder besser: Etwas ist mit mir nach
Weitere Kostenlose Bücher