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Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)

Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)

Titel: Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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oben gegangen. Ich hatte keinen Plan. Ich habe nicht überlegt. Etwas hat mich einfach diese Treppe hinaufgetrieben. Ich habe an ihre Tür geklopft. Sehr unsanft. Wie üblich war nicht abgeschlossen. Ich habe ihre Stimme gehört. Ich bin eingetreten. Und da saß sie. Auf dem billigen roten Sofa, in ihrem primitiven Nylonnegligé, die ach so schönen Beine hochgezogen, hat mich angegrinst. Angegrinst. Sie hatte ein so … ordinäres Grinsen. ›Hallo, Sabeth‹, höre ich sie noch sagen, und dabei hat sie ganz langsam und sehr ostentativ den Hörer aufgelegt. Sie hatten oben so ein grünes Telefon mit Wählscheibe und schwarzer Ringelschnur. Wie man das früher eben hatte. Und ich war sicher, sie hatte noch vor einer Sekunde mit Marcel gesprochen. Geflirtet. Ihm Schweinereien ins Ohr geflüstert. Vermutlich hatte sie noch nicht einmal geduscht, seit sie mit ihm … Sein Zug ging um drei. Da war ich noch im Theater gewesen. Abends hatte ich spielfrei. Und sie hat mich angegrinst. Wusste, dass ich wusste, dieses miese … miese Flittchen.«
    Sie brach ab. Schloss die Augen. Atmete schwer.
    »Und weiter?«
    »Das Grinsen ist ihr dann rasch vergangen. Ich konnte nicht mehr anders. Habe sie angeschrien. Sie hat zurückgeschrien. Wie zwei hysterische Weiber haben wir uns gegenseitig die schlimmsten Gemeinheiten an die Köpfe geworfen. Sie ist aufgesprungen. Hat die leere Sektflasche nach mir geworfen, die auf dem Couchtisch stand. Daneben zwei Gläser. Zwei. Ich weiß nicht mehr … Ich bin auf sie los. War kräftiger als sie. Größer auch. Und auf einmal so unfassbar wütend. Etwas ist aus mir herausgebrochen, was sich über Monate aufgestaut hatte. So wütend war ich. Und dann lag sie plötzlich da. Ich … Ich kann nicht sagen, was genau vorgefallen ist. Aber es war kein Mord. Es war keine Absicht dabei. Kein Plan.«
    »Juristisch haben Sie nichts mehr zu befürchten, denke ich. Im schlimmsten Fall war es Körperverletzung mit Todesfolge und damit verjährt.«
    »Was all die Jahre in meinem Kopf vor sich gegangen ist, war weitaus schlimmer als jede Strafe hätte sein können. All die durchwachten Nächte. All die Selbstvorwürfe. Bitte glauben Sie mir: Ich war nie wieder wirklich glücklich seitdem. Bitte glauben Sie mir das. Nie wieder war ich wirklich und von Herzen glücklich seit jener katastrophalen Nacht.«
    »Wie ging es weiter?«
    »Ich bin davon. In heller Panik. Die Treppe hinab. Ein Wunder, dass ich mir nicht den Hals gebrochen habe. Habe wieder versucht, Marcel anzurufen, vor der letzten Ziffer aufgelegt. Wir hatten auch noch so ein Wählscheibentelefon. Aber unseres war beige, und es hatte eine unendlich lange Schnur. Ich liebte es, beim Telefonieren im Haus spazieren zu gehen. Damals kannte man ja noch nicht all diese Funkdinge, die es heute gibt. Ich habe mir ein Glas Cognac eingeschenkt. Ein großes Glas. Und in einem Zug geleert. Ich habe die Hundertzehn gewählt und wieder aufgelegt. Irgendwann bin ich dann wieder hinauf. Habe ein wenig Ordnung gemacht. Wie eine Idiotin versucht, Spuren zu beseitigen. Mich immer wieder überzeugt, dass sie tatsächlich nicht mehr atmete. Dass sie wirklich und wahrhaftig tot war. Dabei hätte ein Blinder mit seinem Krückstock ertastet, dass sie tot war. Mausetot. Ich habe das zweite Sektglas gespült, das ohne Lippenstift, und in den Schrank gestellt. Ich habe das zerwühlte Bett gemacht, nach Spuren von Marcel gesucht, Haare aufgesammelt. Die Sektflasche, die sie nach mir geworfen hatte, war merkwürdigerweise nicht zerbrochen. Ständig war mir übel. Ich denke, ich habe mich auch zwei oder drei Mal erbrochen. Ich … ach …«
    »Sie haben vermutlich nicht viel geschlafen in der folgenden Nacht.«
    »Ich habe überhaupt nicht geschlafen. Fast wahnsinnig geworden bin ich bei dem Gedanken, dass sie da oben liegt. In ihrem Blut. Dass ich sie gestoßen habe. Dass etwas geschehen muss. Irgendetwas, das nicht dazu führt, dass ich ins Gefängnis muss. Die irrsinnigsten Pläne habe ich gewälzt. Dass ich sie die Treppe hinunterschleife, in den Kofferraum packe, irgendwo ins Wasser werfe, ihr vorher Steine an die Füße binde. Dass ich der Polizei erzähle, Einbrecher seien im Haus gewesen. Dass ich vorher natürlich entsprechende Spuren erzeugen muss. Damit es glaubhaft ist. Mit schmutzigen Männerschuhen durchs Haus latschen, Türen aufbrechen, Schubladen durchwühlen … All solche blödsinnigen Dinge habe ich gedacht. Es war die schlimmste Nacht meines Lebens.

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