Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
Menschenurin.
»Kann natürlich alles Mögliche sein«, meinte der Arzt. »Aber Herzversagen halte ich für die wahrscheinlichste Todesursache. Die Symptomatik, offensichtlich Alkohol, ihr schlechter Allgemeinzustand …«
Mit ihm zusammen waren zwei Rettungssanitäter gekommen, ein noch sehr junger, kräftiger Mann und eine mütterliche Frau in den Vierzigern. Sie hatte inzwischen Katzenfutter gefunden und das kleine schwarze Raubtier versorgt. Es klopfte an der Tür. Zwei Kollegen vom Kriminaldauerdienst traten vorsichtig ein und sahen mich fragend an.
»Nach allem Anschein natürliche Todesursache«, sagte ich zu den beiden, und der Arzt nickte beifällig dazu. »Sie können gleich wieder abziehen.«
»Alles klar, Chef«, sagte der Ältere der beiden erleichtert. »War ja auch nicht mehr die Jüngste, die Dame.«
»Na denn«, seufzte der Arzt und öffnete seinen schweren Koffer. »Wenn aus Ihrer Sicht nichts dagegen spricht, mache ich den Papierkram fertig.«
Ich zögerte, ohne zu wissen, weshalb. Betrachtete die offene Cognacflasche auf dem Tisch, die zahlreichen neben dem umgefallenen Stuhl stehenden und liegenden leeren Flaschen. Das billige Becherglas mit einem Fingerbreit brauner Flüssigkeit darin. Der Arzt sah mich auffordernd an. Ich zögerte immer noch.
»Wir haben nicht ewig Zeit«, erinnerte er sanft.
»Okay«, sagte ich schließlich. »Füllen Sie den Totenschein aus.«
Der junge Sanitäter zückte ein Handy vom Format eines kleinen Flachbildfernsehers. »Ich telefonier schon mal nach dem Leichenwagen.«
»Was für ein Scheißleben«, meinte die Frau mit Blick in die Runde. »Aber von Cognac hat sie was verstanden, das muss ich sagen.«
Die Katze hatte fertig gefressen und strich ihr schnurrend um die Beine. Sie packte das Tier unter der Brust und hob es achtsam hoch. »Böse Sache, was, kleiner schwarzer Kater? Jetzt wirst du wohl umziehen müssen.«
»Am besten, Sie nehmen ihn gleich mit«, schlug ich vor.
Sie sah mich überrascht an. Nickte dann langsam, nahm das kleine Tier auf den Arm und lächelte es an. »Meine Tochter löchert mich eh schon die ganze Zeit.« Der Kater schien sich sofort wohl zu fühlen bei seiner neuen Chefin. »Und mein Mann wird sich wahrscheinlich scheiden lassen.«
Ich räusperte mich und sagte: »Ich sehe mich hier noch ein bisschen um. Vielleicht gibt es Angehörige.«
»Sie bleiben hier, bis die Bestatter kommen?«
Ich nickte.
»Na dann.« Der Arzt hatte inzwischen die amtlichen Unterlagen ausgefüllt, die in Deutschland am Ende eines Lebens auszufüllen sind, und alles farblich sortiert auf dem Küchentisch deponiert. Kurze Zeit später war ich allein mit der Toten.
Das Schlafzimmer war rasch erledigt. Dort gab es nichts zu entdecken, was mir hätte nützlich sein können. Auch hier ein trostloser Anblick: das Bett zerwühlt, das Laken vermutlich seit Monaten nicht gewaschen. In den Schränken überreichlich Material für die Kleidersammlung. Vieles wirkte, als hinge es schon seit zwanzig Jahren auf demselben Bügel. Auf dem Nachttischchen lag ein aufgeschlagenes Taschenbuch älteren Datums mit dem Einband nach oben: Lynch von Jürgen Lodemann. Sie hatte erst zehn Seiten gelesen.
Im Flur stand einsam eine kleine, überraschend hübsche Kommode mit zierlich gedrechselten Beinen. In der Schublade fand ich einige persönliche Dinge: einen grünen Reisepass, Bundesrepublik Deutschland, schon vor einer halben Ewigkeit abgelaufen. Einige vermutlich unbezahlte Rechnungen, eine Mahnung von den Stadtwerken, eine zweite von einem medizinischen Labor über zweihundertdreiundfünfzig Euro mit Androhung des gerichtlichen Mahnverfahrens. Zuunterst lag der Prospekt einer Firma namens »Flying Pizza«, die es vermutlich längst nicht mehr gab. Auf der Kommode ein Heidelberger Telefonbuch aus dem Jahr 1998. Keine Briefe, keine Ansichtskarten, keine Notizen. Ich schob die Schublade wieder zu und nahm das schnurlose Telefon zur Hand, das jemand aufgehoben und auf die Kommode gelegt hatte. Klickte das Telefonbuch durch, sah mir die zuletzt gewählten Nummern an. Den letzten Anruf, bei dem eine Verbindung zustandegekommen war, hatte Rosalie Jordan am Vortag getätigt, anderthalb Stunden, nachdem ich mich verabschiedet hatte. Eine Nummer in Mannheim.
An der Garderobe hing ein lappiger Wollmantel mit ausgebeulten Taschen. In der rechten eine Fahrkarte aus einem der Automaten der Deutschen Bahn. In der linken Streichhölzer und ein wenig Kleingeld. In den Innentaschen
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