Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
Innenstadt würden sich über Mittag wieder bunt bevölkern. Für die nächsten Tage hatte der Wetterbericht allerdings ein letztes Aufbäumen des Winters angedroht. Sogar Schnee sollte es noch einmal geben, selbst in der Kurpfalz, einer der wärmsten Regionen Deutschlands. Im Radio erzählte ein etwas zu gut gelaunter Sprecher eine alberne Geschichte, in der es um ein gestohlenes Auto ging, dessen Motor bereits an der nächsten Ampel schlappgemacht hatte. Ausgerechnet eine Streifenwagenbesatzung hatte den schwitzenden Dieben geholfen, den Wagen an den Straßenrand zu schieben.
Ich streckte die Beine von mir, wärmte mir die Finger an meiner Tasse. Selten hatte ich weniger Lust auf Büro und Arbeit gehabt als an diesem Morgen. Ich beschloss, mir noch ein Glas Orangensaft zu gönnen, bevor ich mich auf den Weg in die Tretmühle machte.
Im Radio brach die Musik ab.
Eine aufgeregte Frauenstimme: »Soeben wurde bekannt, dass auf den beliebten Fernsehstar Marcel Graf vor wenigen Minuten ein Mordanschlag verübt wurde. Die Tat ereignete sich in der Heidelberger Innenstadt, in der Nähe des Hotels, in dem Herr Graf zurzeit Quartier bezogen hat. Dem Vernehmen nach hat er den Anschlag jedoch glücklicherweise überlebt. Über die Schwere seiner Verletzungen ist derzeit noch nichts bekannt. Sobald wir weitere Einzelheiten erfahren, werden wir Sie unverzüglich informieren …«
Schon begann mein Handy zu surren. Eine Kollegin vom Kriminaldauerdienst war geistesgegenwärtig genug, mich sofort anzurufen. Graf hatte wenige Minuten vor sieben Uhr zu Fuß sein Heidelberger Hotel verlassen, um – ohne Begleitung – seinen offenbar üblichen Morgenspaziergang zu machen. Am Neckarufer war ein groß gewachsener Unbekannter mit einem Messer in der Hand über ihn hergefallen, hatte ihm zahlreiche Stich- und Schnittwunden zugefügt, aber schlussendlich war es Graf gelungen, den Täter in die Flucht zu schlagen. Während des kurzen Telefonats hörte ich Motorenbrummen und das Martinshorn des Einsatzwagens, in dem die Anruferin saß. Die Verbindung war schlecht.
»… erst vor zehn oder fünfzehn Minuten oder so … sind auf dem Weg zum Tatort … schon unterwegs ins Klinikum … wahrscheinlich nicht lebensgefährlich … vorläufig nicht vernehmungsfähig … keine Zeugen … was wir bisher wissen, hat mir vor einer Minute der Rettungssanitäter am Telefon erzählt.«
»Wer hat den Notarzt gerufen?«, fragte ich, während ich in meine Schuhe schlüpfte. »Graf selber?«
»Soweit ich weiß, ja«, erwiderte die Kollegin mit gepresster Stimme. Reifen quietschten. »Im Moment blickt aber noch keiner so richtig durch.«
»Aber er lebt.«
»Scheint so.«
Ich zog die Wohnungstür hinter mir zu und lief die Treppe hinab.
»… keine inneren Organe verletzt«, war das Letzte, was ich hörte, bevor wir auflegten.
Als ich zwölf Minuten später den Ort des Anschlags erreichte, war ein Teil des Uferwegs bereits mit Flatterband abgesperrt, und meine Finger waren steif vor Kälte. Um so schnell wie möglich am Tatort zu sein, hatte ich mich zum ersten Mal seit meiner unfreiwilligen Rolle rückwärts wieder aufs Fahrrad gewagt. Unterwegs hatte ich feststellen müssen, dass es über Nacht zwar aufgeklart hatte, die Temperatur jedoch kräftig gefallen war. Auf manchen Pfützen hatte sogar dünnes Eis geglitzert, und von Westen her ging ein eisiger Wind, der die hektischen Atemwölkchen von meinem Mund riss.
Der Anschlag auf Marcel Graf hatte sich am nördlichen Neckarufer ereignet, etwa hundert Meter westlich der Theodor-Heuss-Brücke, anderthalb bis zwei Kilometer von seinem Hotel entfernt, dem Europäischen Hof an der Friedrich-Ebert-Anlage. Ein asphaltierter Fußweg verlief hier parallel zum Flussufer, nur zwei Schritte vom strudelnden braunen Wasser entfernt. Wegen des vielen Regens der vergangenen Tage führte der Neckar Hochwasser. Es roch nach kommendem Schnee.
Um den Kopf der Kollegin, mit der ich vor wenigen Minuten telefoniert hatte, leuchteten rote Locken in der Morgensonne. Sie war klein und kräftig, war in Begleitung eines Kollegen vom KDD und zweier uniformierter Beamter des Reviers Mitte gekommen und hüpfte wegen der Kälte von einem Fuß auf den anderen. Gleichzeitig versuchte sie, ihre Hände durch eifriges Reiben und Pusten warm zu halten. Einer der Uniformierten rauchte. Er musterte mich aus schmalen Augen.
»Wieder mal ohne Helm unterwegs, Herr Gerlach?«, fragte er grinsend. »Na, na …«
Mein Helm hing
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