Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
gleich so ein Gefühl gehabt … Dass es diesmal was Schlimmes ist. Ich bin erst ausgestiegen, als Ihre Kollegen gekommen sind. Und die haben mir dann gesagt, es ist ein Mensch gewesen. Ein Mann wahrscheinlich. Keine Kuh. Ein Mann. Wieso kann so einer sich nicht bitte irgendwo aufhängen? Oder den Gashahn aufdrehen? Am liebsten würde ich den Beruf an den Nagel hängen. Ich habe Kinder, zwei Mädels und zwei Jungs …«
Es gelang mir erst im dritten Anlauf, den Redefluss des verzweifelten Familienvaters zu unterbrechen. Ich bedankte mich mit warmen Worten und wünschte dem bemitleidenswerten Lokführer alles Gute. Anschließend bat ich Sönnchen, mir einen der Kollegen ans Telefon zu schaffen, die in der Nacht als Erste vor Ort gewesen waren. Obwohl diese sich nach Ende ihrer Schicht schlafen gelegt hatten, musste ich nur wenige Minuten warten, bis ich die raue Stimme eines gewissen Hauptkommissar Ehrmann vom Polizeirevier Hockenheim hörte.
»Die Meldung ist um kurz nach zwei reingekommen. Von der Bahnbetriebsleitung in Mannheim. Wir sind zu dem Zeitpunkt nur zu zweit gewesen im Revier, weil das andere Team mit einem Verkehrsunfall zu tun gehabt hat. In der vergangenen Nacht hat’s ja ständig irgendwo gekracht, wegen dem Schnee. Wir sind dann gleich raus, und zehn Minuten später waren wir vor Ort. Da war’s genau achtzehn nach zwei.«
»Haben Sie die Stelle gefunden, wo der Mann sich auf die Schienen gelegt hat?«
»Der Zug ist kurz vor der Brücke gestanden, wo die L 723 die Bahnlinie kreuzt. War Richtung Mannheim unterwegs. Und es hat die ganze Zeit geschneit wie verrückt.«
Das war keine Antwort auf meine Frage.
»Haben Sie die Stelle gefunden und gesichert? Gerade weil es geschneit hat, könnten da noch Spuren sein.«
»Darum haben sich die Kollegen von der Kripo gekümmert. Wir haben nur den Rettungswagen alarmiert, dem Lokführer einen Kaffee spendiert und die Kripo gerufen. Das ist jetzt der Fünfte, der sich auf die Schienen schmeißt, in den drei Jahren, die ich in Hockenheim bin. Wieso können die sich nicht einfach irgendwo im Warmen aufhängen? Oder von mir aus irgendwas einwerfen …«
Neulußheim gehörte zum Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Heidelberg. So waren die Dienstwege kurz. Die beiden Beamten vom KDD, die den Fall in der Nacht übernommen hatten, schliefen jedoch und waren klug genug gewesen, ihre Handys stumm zu stellen.
Eine halbe Stunde später stapfte ich in Begleitung von Sven Balke an den Bahngleisen nördlich von Neulußheim durch gut zwanzig Zentimeter hoch liegenden Neuschnee. Die dicken Wolken waren zwischenzeitlich nach Osten weitergezogen, und eine höhnische Sonne beschien die weiße Bescherung. Über die weiten Felder im Westen pfiff ein widerlich kalter Wind und blies uns harte Schneekristalle ins Gesicht. Mein Wintermantel bot dem Wind keinen nennenswerten Widerstand, ganz zu schweigen von der Hose. Die Halbschuhe mit Ledersohle waren für die Witterung absolut ungeeignet. Schon bei den ersten Schritten fühlte ich Schnee eindringen.
Balke hatte zwischenzeitlich mit irgendjemandem bei der Deutschen Bahn telefoniert.
»Die sind imstande, aus der Geschwindigkeit und den Witterungsverhältnissen den Punkt relativ genau zu berechnen, wo der Lokführer die Bremse reingehauen hat«, berichtete er stolz. »Ungefähr hier muss es gewesen sein.«
Die Stelle, wo wir uns befanden, lag wenige Meter nördlich von der Unterführung, wo die B 36 unter der Bahnlinie hindurch verlief. Hier führte ein schmaler Fahrweg von einem nicht geräumten Sträßchen zu den Schienen hinunter, von denen uns nur noch eine Leitplanke trennte.
»Hier ist die einzige Stelle, wo man relativ problemlos an die Gleise rankommt«, meinte Balke, der den Fellkragen seiner dick gefütterten Outdoorjacke hochgeschlagen hatte. »Zum Glück schneit es nicht mehr. Aber dieser Scheißwind verweht alle Spuren.«
»Deshalb wollte ich so schnell wie möglich hier sein«, erwiderte ich missmutig. »Mit jeder Stunde werden die Spuren schwächer. Falls es überhaupt noch welche gibt, natürlich.«
Wir stiegen über die Leitplanke und traten näher an die Gleise heran. Die Oberleitung sirrte. Offenbar näherte sich ein Zug.
»Da habe ich wenig Hoffnung, sorry, Chef. Es hat schon vor Mitternacht angefangen zu frieren. Und der Wind hat den Schnee so stark verweht, dass wir mit Fußspuren …«
Ein ICE brauste an uns vorbei in Richtung Süden und wirbelte einen Blizzard auf, der uns fast von
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