Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
Unschlüssig ließ ich es noch einige Male brummen, dann drückte ich den grünen Knopf.
»Ja?«, sagte ich und räusperte mich. »Hallo?«
Ich hörte schweren Atem und – sehr leise, wie aus weiter Ferne – Männergebrüll. Dann brach das Gespräch ab. Vermutlich verwählt. Oder einer dieser Spaßvögel, denen es Vergnügen bereitet, andere Menschen um ihre hart verdiente Nachtruhe zu bringen. Ich warf das Handy wieder neben den Wecker, die Brille dazu, und drehte mich auf die andere Seite. Aber nun konnte ich nicht mehr einschlafen. Meine Gedanken kreiselten um Hergarden, Graf, Rosalie Jordan, Vicky. Meine immer wirrer werdenden Überlegungen und Gedankenkurzschlüsse führten zu keinem sinnvollen Ende, sondern nur zu immer neuen Fragen ohne Antworten.
22
Am Freitagmorgen erwartete mich eine schlechte Nachricht, als ich unausgeschlafen und nicht allzu gut gelaunt mein Vorzimmer betrat. In der Nacht hatte es kräftig geschneit, die Temperatur war noch weiter gefallen, und ich war für den Wintereinbruch zu leicht angezogen.
Sönnchen hielt den Hörer noch in der Hand.
»Sie haben ihn.«
»Wen?«, fragte ich brummig und fegte mit der bloßen Hand den Schnee von meinen Schultern. Draußen schneite es immer noch, aber zum Glück nicht mehr so stark wie in der Nacht.
»Hergarden. Er hat sich in der Nacht vor den Zug geschmissen. In der Nähe von Neulußheim.«
Ich erstarrte. »Wann genau?«
»Es war ein Güterzug. Um kurz nach zwei hat der Lokführer den Unfall an die Betriebsleitung gemeldet.«
Der nächtliche Anruf war eine halbe Stunde früher gewesen. Sönnchen legte den Hörer so zögernd auf, als würde erst dadurch Hergardens Unglück unwiderruflich. »Der Zug hat ihn fast dreihundert Meter mitgeschleift, bevor er zum Stehen gekommen ist.« Sie schauderte bei der Vorstellung. »Er muss furchtbar aussehen.«
»Ist die Identifizierung verlässlich?«
»Er hat seinen Ausweis in der Tasche gehabt.«
»Der Lokführer, ist der vernehmungsfähig?«
»Steht noch unter Schock.«
»Sobald man mit dem Mann reden kann, will ich es wissen, okay?«
»Der Kollege Runkel hat übrigens schon wieder angerufen«, sagte Sönnchen tonlos. »Diesmal hat er geklungen, als wär’s wirklich wichtig.«
Zunächst setzte ich mich jedoch mit meinem Handyprovider in Verbindung. Man zierte sich zunächst ein wenig, aber fünf Minuten später kannte ich die Nummer des Handys, von dem der nächtliche Anruf gekommen war. Es handelte sich um eine Prepaidnummer, die erst vor drei Wochen vergeben worden war. Auf den Namen eines gewissen Fred Hergarden.
Anschließend wählte ich die Nummer von Rolf Runkel, der immer noch in Bad Soden seine Rehabilitation betrieb.
»Morgen, Chef!«, rief er ungewohnt gut gelaunt. »Schön, dass Sie sich gleich melden!« Ich hörte Tellerklappern. Offenbar saß man beim Frühstück. »Ich glaub fast, jetzt haben wir sie am Sack!«
»Die … Kellertürenbande?«
»Ich hab Ihnen doch von Horst erzählt? Der jetzt in Bonn wohnt?«
»Hm.«
»Der Horst hat nämlich so eine superteure Armbanduhr …«
Jetzt saß ich senkrecht in meinem Sessel.
»Sagen Sie bloß …«
»Hat er von seinem Sohn zum Sechzigsten gekriegt, im Februar erst. Angeblich gebraucht gekauft auf einer Auktion. Aber die Seriennummer …«
»…ist die von der Uhr aus Bammental?«
»Der Sohn wohnt in Saarbrücken. Haben Sie was zum Schreiben?«
Um halb zehn meldete Sönnchen, sie habe den Lokführer in der Leitung.
»Brabetz hier.« Der bedauernswerte Mann sprach mit dünner Stimme und leichtem sächsischem Akzent. »Sie wollten mich sprechen? Ich habe doch schon alles Ihren Kollegen erzählt.«
»Ich habe auch nur eine einzige Frage: Wie war das genau, letzte Nacht? Was haben Sie gesehen?«
»Nichts«, erwiderte der Mann leise. »Nichts habe ich gesehen. Man guckt ja nicht dauernd auf die Gleise. Das hält man ja gar nicht aus, vor allem nachts hält man das nicht aus. Man guckt nur nach den Signallichtern. Und wenn es auch noch schneit, dann ist es sowieso eine Katastrophe. Da sehen Sie ja nichts im Licht als Schnee, Schnee, Schnee. Stundenlang. Es hat einfach bums gemacht, und ich war mir nicht mal sicher … Hätte ja ebenso gut ein Tier sein können … Ich habe ganz automatisch die Bremse reingehauen und die Betriebsleitung angerufen. Ich habe so gehofft, dass es ein Tier war. Ein Reh. Ein Hirsch. Eine ausgebüxte Kuh, von mir aus. Das hatte ich nämlich schon mal: eine Kuh. Aber irgendwie habe ich dieses Mal
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