Die dunklen Engel (German Edition)
«Ich mag die Jagd. Warum, weiß ich nicht. Vermutlich liegt es an den Pferden. An der Aufregung. Man kann mit einem Pferd auch beim Training galoppieren, doch es erfüllt keinen Zweck, nicht wahr? Eigentlich nicht. Aber auf der Jagd!» Sie schüttelte den Kopf. «Auf der Jagd ist das etwas anderes. Man achtet nicht auf Hindernisse, es gibt nur dieses eine Ziel! Doch dann kommt das Ende, und ich gehe nie nah ran.»
«Niemals?»
Sie schüttelte den Kopf. «Nie.»
Tosend stürzte das Wasser in das Becken. Ein strahlend klarer, sichelförmiger Mond stieg im Norden auf, dessen Licht die Kiefern unter ihnen silbern überhauchte. Campion betrachtete die Sterne und zeichnete das Schwert am Gürtel des Orion nach. «Ich glaube, Sie haben mich einmal belogen.»
«Tatsächlich?»
«Also frage ich Sie noch einmal.» Die schweren, goldenen Siegel von Lazen zitterten auf ihrer Haut. Sie unterbrach sich, weil sie wusste, dass sie an einen Ort voller schrecklicher Geheimnisse gehen würde. «Was geschieht am Ende Ihrer Geschichte? Wenn der Mensch sein Geschöpf findet?»
«Das letzte Geschöpf, das Gott erschaffen hat?» Seine Stimme war so sanft wie die leichte Brise in den Bäumen, so sanft wie der Lufthauch auf den Flügeln einer Eule.
«Ja.» Sie erinnerte sich daran, wie er auf den Stufen des kleinen Tempels von Lazen gestanden hatte. «Sie haben gesagt, Sie würden das Ende nicht kennen.»
Lächelnd starrte er in die prächtige, leere Nacht über Auxigny. «Sie wird schöner sein als die Morgendämmerung, und in ihren Augen werden Sterne sein. Zu ihren Füßen wachsen Lilien und in ihren Händen Liebe.» Er unterbrach sich, und obwohl es keine kalte Nacht war, kam es Campion vor, als kröche Kühle über ihre Haut. Er sah sie an. «Wir finden unser eigenes Ende, Mylady.»
Sie schüttelte den Kopf. «Sie wissen es besser, oder nicht?»
«Tue ich das?»
«Denn es gibt doch ein Ende.» Sie sah ihn an. «Es geht nur um das Jagen, nicht wahr? Im Ende liegt keine Freude. Finden Sie Ihr Geschöpf, entledigen sich seiner und jagen ein anderes? Ist so das Ende der Geschichte, Mr. Skavadale? Dass es kein Ende gibt, nur eine weitere Jagd, eine weitere Verfolgungsjagd?»
Er schüttelte den Kopf. «Nein.»
«Sie genießen es, oder? Sie sind ein kluger Mann unter klugen Männern, und Sie spielen ein Spiel. Luzifer jagt Paunceley, und Paunceley jagt Luzifer, und wenn es einen von den beiden nicht gäbe, würde der andere sich einen neuen Feind suchen. Und Toby!» Sie schaute in das dunkle Tal hinunter. «Auch er liebt die Jagd. Hofft ihr alle, dass sie nie endet?»
«Sie hätten nicht herkommen müssen», sagte er schlicht.
«Ich weiß», antwortete sie, ohne ihn anzusehen.
«Und Sie müssen morgen nicht nach Auxigny gehen.»
«Das weiß ich.»
Sie war von diesem Mann benutzt und über Wege geführt worden, die nach Blut stanken, und war bereitwillig mitgekommen, denn als sie diesen Mann zum ersten Mal gesehen hatte, war er ihr herrlicher erschienen als jeder andere Mann, der ihr je begegnet war. Sehr wohl begriff sie, dass Luzifers Tod wünschenswert war, dass die Gefallenen Engel vernichtet werden mussten, doch sie verstand auch, wie töricht ihre Rolle dabei war. Wie ein dummes Kind war sie gekommen, für den Augenblick selbst, und plötzlich erschienen ihr die Jahre, die jenseits dieses Augenblicks lagen, so finster wie die Nacht.
Sie hatte Liebe gewollt, doch jetzt hatte sie plötzlich Angst davor, als würde die Seligkeit des Augenblicks verblassen, und sie begriff, was Onkel Achilles versucht hatte ihr zu sagen, dass der Augenblick der Liebe so strahlend und so schnell vorbei sein konnte wie der Sturz einer Sternschnuppe. Sie hatte Angst.
Der Zigeuner stand auf. Sie hörte, wie er zum Feuer ging und Holz auflegte, und dann kamen seine Schritte näher, und er hockte sich hinter sie. Sie roch den angenehmen Duft nach Pferden und Tabak. Seine Stimme an ihrem Ohr war, wie damals im Tempel, wie die Dunkelheit selbst, weich und verführerisch, leise. «Seit Anbeginn der Welt, Mylady, jagen wir Roma das Geschöpf, das schöner ist als die Morgendämmerung. Wir sind über die Berge geritten, wir haben Wüsten durchquert, und stets wurden wir gehasst und verachtet, denn die Menschen fürchten uns. Wir haben gefroren und Hunger gelitten, wir haben unsere Kinder sterben sehen, und die Menschen haben uns gefragt, warum wir keine Häuser errichten und Getreide anbauen, um zu sein wie sie.» Er unterbrach sich. Sie hatte die
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