Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
gleichzutun, und winkte einem Serviermädchen, das wartend am Fuß des Podests stand. Sie stieg die Stufen hoch und trug ein Tablett, auf dem zwei goldene Kelche standen. Marldon gab einen davon an Clarissa weiter, nahm selbst den zweiten und ließ die Ränder klingend aneinanderstoßen.
«Auf uns», sagte er und nahm einen tiefen Schluck.
Clarissa nippte vorsichtig an dem roten Wein. Er war würzig, mit einer bitteren Note, und ein wenig dickflüssiger als gewöhnlich. Sie verzog ihr Gesicht ein wenig.
«Worauf wartest du noch?», sagte Marldon zu dem Mädchen, das sich nicht mehr gerührt hatte. «Serviert dies auch meinen Gästen.»
Das Mädchen mit den sandfarbenen Haaren machte einen Knicks und schickte sich an zu gehen. Als sie dies tat, stolperte sie ganz furchtbar und fiel der Länge nach auf die Couch, wobei ihr Körper gegen den von Clarissa schlug. Clarissa quiekte, als ihr der Kelch in hohem Bogen aus der Hand fiel und die zähe rote Flüssigkeit sich über ihren Rock und über die Tigerfelle ergoss.
«Es tut mir so leid, Ma’am. Es tut mir so schrecklich leid. Verzeiht mir, ich bitte Euch», flehte das Mädchen lautstark. Sie raffte sich auf und rieb vergeblich auf dem verschütteten Wein herum.
Lord Marldon schlug die Hand des Mädchens beiseite.
«Wie ist dein Name?», fragte er sie heiter.
«Laura, Mylord», verkündete das Mädchen und fand schnell seine Fassung wieder.
«Ach ja», sagte er und nickte in vagem Wiedererkennen. «Nun, Laura. Ich glaube, Lady Marldon wird ein neues Glas Wein brauchen. Aber stell sicher, dass nicht du es bist, die es bringt. Du solltest vielmehr besser zusehen, dass ich dich heute Abend gar nicht mehr sehe, du ungeschickter Trampel. Verschwinde.»
Die Magd knickste und huschte davon.
«Ich bin ganz nass», sagte Clarissa und zupfte an ihrem durchweichten Rock. «Ich möchte schnellstmöglich aus diesen Klamotten rauskommen.»
Marldon lachte. «Du wirst sie ausziehen, wenn ich es sage, Lady Marldon, und nicht früher.»
«Ich bin noch nicht Lady Marldon», sagte sie steif.
Marldon zuckte gleichgültig mit den Schultern. «Es kann nicht schaden, wenn du schon mal ein bisschen übst.»
Er leerte gerade sein Glas, als ein anderes Serviermädchen, das einen einzelnen Kelch trug, an das Podest herantrat. Clarissas Herz blieb fast stehen.
Es war Kitty. Kitty, die ihr Haar nach der letzten Mode frisiert trug, ein grünes Seidenkleid anhatte und an ihren Ohren tropfenförmige Gehänge. Aber trotz all der Aufmachung erkannte Clarissa sie sofort. Das hübsche schmale Gesicht war einfach unverwechselbar.
Kitty warf ihr einen warnenden Blick zu. Clarissa nahm den Kelch entgegen, den Alec an sie weiterreichte, ließ sich ihre Erschütterung nicht im Geringsten anmerken.
Sie wagte nicht zu hoffen, dass Kitty in der Lage sein könnte, ihr zu helfen, aber ein bisschen Hoffnung vermittelte sie ihr schon. Allein das junge Mädchen zu sehen war genug, um dafür zu sorgen, dass sie sich nicht mehr ganz so einsam fühlte, nicht mehr ganz so ohnmächtig.
«Versuch diesmal, es auch wirklich zu trinken», sagte Alec. Clarissa widerstand dem Drang, Kitty zu folgen, und nippte an dem Becher. Es war nicht derselbe Trank. Ihm fehlte die Würze, die Bitterkeit, und er war so flüssig wie Wein. Es war Wein. Clarissas Hoffnungen verstärkten sich. Dieser Unterschied konnte kein Zufall sein; Kitty führte damit irgendetwas im Schilde. Sie war zwar unfähig, sich vorzustellen, was das sein könnte, trank aber schnell, um das Beweismittel zu vernichten, und machte dabei Bemerkungen über den merkwürdig strengen Geschmack des Alkohols. Befriedigt grinste Marldon.
«Den Nachgeschmack wirst du noch viel merkwürdiger finden», sagte er. «Wollen wir uns nicht ein wenig entspannen?»
Er hob seinen Arm und schnipste zweimal laut mit dem Finger. Die Musik hörte auf zu spielen. Die Leute murmelten gespannt und wechselten ihre Positionen, richteten ihre Blicke auf die Bühne, die sich an einer der Wände befand und durch einen tiefroten Samtvorhang vom Rest des Raumes abgetrennt wurde.
«Ein bisschen Unterhaltung», sagte er ruhig und zog Clarissa an sich.
Ihr befleckter Rock, klebrig und kühl, lag auf einem ihrer Schenkel.
Die Musik setzte ein, eine getragene Melodie, und der rote Vorhang öffnete sich. Auf der Bühne stand eine Frau, bekleidet mit einem schlichten blaugrünen Gewand, in einer riesigen geöffneten Muschel. Zu ihren Füßen kauerte bewegungslos im Halbkreis eine Gruppe
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