Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
nirgends hin – ein Motelzimmer hatte ich noch nicht, und vom Essen kam ich gerade. Als ich es schließlich leid war, auf anderer Leute Bremslichter zu starren, fuhr ich vom Freeway ab und nahm dann die Bay Road östlich von Palo Alto hinaus zum Ralston Hotel. Die Büro- und Wohnkomplexe direkt an der Bay waren noch vor ein paar Jahren, während des letzten Internetbooms, voll gewesen, aber dann hatten härtere Zeiten viele der neuen Mieter in billigere Stadtteile getrieben oder ganz aus der Gegend verscheucht – ich sah jede Menge Zu-vermieten-Schilder und ungepflegte Grundstücke. Es war schon deprimierend, aber ich war ja auf keiner Sightseeing-Tour, also folgte ich der kurvenreichen Straße, vorbei an Gewerbe- und Lagerhäusern, durch East Bayshore und bis nach Sand Point, einer schmalen Landzunge, Standort eines Leuchtturms, der vor langer Zeit einmal wichtig gewesen war. Der alte Turm stand immer noch gleich hinter dem Hotel, ganz am Ende der Landzunge, wie ein Junge, der auf einen älteren Bruder wartet, ehe er ins Wasser geht, und ich wusste, sie ließen das Licht nachts immer noch pittoresk leuchten, aber einen Nutzen hatte es wohl nur noch als Postkartenmotiv.
Das Ralston war eins jener großen, alten Hotels vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, und obwohl es sehr gut in Schuss gehalten und in den 1990er Jahren sogar umfassend renoviert worden war, wirkte es seltsam deplaziert, so ganz allein vor der düstergrünen Bay. Es sah aus, als müsste es das Herzstück eines Großstadtstraßenblocks sein wie das Mary Hopkins in San Francisco oder das Waldorf in New York, aber da war kein Straßenblockdrum herum, nur ein paar kleinere Bürokomplexe standen in respektvoller Entfernung zu beiden Seiten. Trotz der großen Fahne, die auf dem grünen Kupferdach im steifen Wind knatterte, und all der Autos auf dem Parkplatz wirkte das Hotel seltsam verlassen, wie Shelleys Ozymandias-Statue, die vergessen mitten in der Wüste steht.
Einige Zeilen des Gedichts fielen mir ein, aber aus welchen Tiefen meines Gedächtnisses sie kamen, wusste ich nicht – ich konnte mich nicht erinnern, sie in meinen Jahren als Engel gelesen zu haben. Vielleicht waren sie ja aus meinem früheren Leben herübergesickert. (Unsere Bosse behaupten, so was passiert nicht, aber die meisten von uns glauben es nicht.)
Um den Verfall her riesengroß / Des mächtigen Steinwracks öd und grenzenlos / Dehnt sich die leere Wüste nah und fern.
So sehr ich mich auch bemühte, mein Augenmerk auf die Blumenpracht in den riesigen Pflanzgefäßen zu richten oder auf die gestreifte Markise, die über dem Portal flatterte wie die Krönungsschleppe eines Königs, ich konnte mich nicht dazu bringen, das Ding zu mögen. Nach ein paar Minuten wendete ich und fuhr wieder nach Westen, der untergehenden Sonne entgegen.
Als ich auf dem Freeway war, versuchte ich noch mal, Caz zu erreichen, aber sie nahm immer noch nicht ab, und mir fiel nichts mehr ein, was ich nicht schon dreimal auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Es war immer noch viel Verkehr, also verließ ich den Freeway ein paar Abfahrten früher als geplant und fuhr den Woodside Highway hinauf. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hielt ich bei einem Motel ganz am Rand von Spanishtown namens Mission Rancho Motor Lodge, checkte ein und bezog ein Obergeschosszimmer nach hinten hinaus, mit Blick auf den Park. Ich wusste nicht genau, warum dieser Ortmich gerufen hatte, aber er hatte es getan, und ich habe gelernt, meinem Instinkt zu trauen.
Ich erkannte es erst, als ich von einem späten Abendessen in Form von tacos al pastor in einem kleinen Lokal in der Nähe zurückkam und einen Stuhl auf den Balkon schleppte, um zuzuschauen, wie die Lichter angingen. Gar nicht so weit weg, am Rand des Parks und fast verdeckt von den Apartment- und Gewerbegebäuden, die rundum aus dem Boden geschossen waren, zeichnete sich die Hacienda-Silhouette der Mission San Judas Tadeo ab, des Ortes, aus dem die ganze verrückte, von wildem Auf und Ab geprägte Stadt, in der ich wohnte, erwachsen war. Die Mission war, bis auf eine Lampe über dem Eingang, dunkel, und das Licht der Straßenlaternen im Park wurde von der Adobe-Fassade kaum reflektiert, doch auch so wirkte das niedrige Gebäude einladend, etwa so, wie ein Lagerfeuer auf einen verirrten Wanderer wirken muss. Und als ich da saß und auf die Mission blickte und an die armen Kerle von Indianern dachte, die gezwungen worden waren, diesen Bau für die spanischen
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