Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
Bestform präsentieren –, aber er kannte mich und wusste, für wen ich arbeitete, also nickte er und winkte mich herein. Als wir an der Küche vorbeikamen, sah ich dort einen halbleergegessenen Teller Reis mit Bohnen stehen und begriff, dass ich den Alten beim Abendessen gestört hatte. In einem kleinen Fernseher auf der Arbeitsplatte lief eine mexikanische Gameshow.
Wir gingen durchs Haus und auf der Rückseite wieder hinaus. Er zeigte auf die große Scheune, die separat etwa zehn Meter hangabwärts stand und durch eine lange Treppe mit dem Haus verbunden war. Ich nickte und bedankte mich, und er ging wieder zu seinem Essen.
Der Geruch, der einem überall sonst auf dem Grundstück die Tränen in die Augen trieb, drang aus der Scheunentür wie ein ausgewachsener Chemiewaffenangriff, sodass ich erst mal nicht hineingehen konnte, sondern stehenblieb und mit der Hand ein Loch in die Schwaden zu wedeln versuchte. Was nicht klappte – es klappte nie –, aber immerhin gewöhnte ich mich so weit dran, dass ich den Schritt ins Innere wagte.
Den größten Teil der Scheune beanspruchte ein zentraler Koben von etwa sieben mal zehn Metern, mit einer brusthohen Umgatterung und einer etwa dreißig Zentimeter tiefen Schicht stinkenden Schlamms auf dem Boden – und mit »stinkend« meine ich wirklich stinkend. Am einen Ende kauerte, fahl im flackernden Licht der Deckenleuchten, ein hünenhafter, nackter Mann, beschmiert mit Matsch und Schlimmerem. Er sah mich an, und seine schmalen Augen funkelten.
»Hallo, George«, sagte ich. Niemand sprach ihn mit »Fatback« an, das wäre unhöflich gewesen. Wobei er mich im Moment sowieso nicht verstand.
Beim Klang meiner Stimme stieß er ein wütendes Quieken aus und stürmte auf allen vieren so vehement durch den Koben, dass Matsch, Scheiße und Schweinefutter nach allen Seitenspritzten, dabei kam er ins Schliddern und krachte mit einem Schmerz- und Zornesgrunzen ins Gatter. Er sank auf die Fersen, saß im Matsch und starrte mich verdrossen an; aus einer kleinen Platzwunde auf seiner Stirn sickerte Blut. Ich seufzte und sah auf meine Uhr. 11:52. Noch acht Minuten.
Ich zog mich außer Spritzweite zurück und beobachtete ihn, während die Zeit dahintickte. Er beobachtete mich seinerseits. Es war unangenehm, von diesen schmalen Augen angestarrt zu werden. Nichts Menschliches lag in diesem Blick, wohl aber jede Menge mörderischer Wut. Ich war froh, dass der alte Javier den Koben in gutem Zustand zu halten schien.
Casa de Maldición heißt »Haus des Fluchs«, aber was George widerfahren war, war noch schlimmer. Als Spross einer alten Californio-Familie (einer Dynastie jener spanischsprachigen Altkalifornier, denen hier alles gehörte, bevor die Gringos auftauchten) hatte George Noceda nicht nur beträchtliche Ländereien in der Gegend von Pulgas Ridge geerbt, sondern auch die Haupthypothek der Familie – eine Schuld gegenüber den Mächten der Finsternis. (Heutzutage laufen sie bei uns unter euphemistischeren Namen wie etwa »die Gegenseite«, aber es ist immer noch der alte Laden.) Für seinen einst auf übernatürliche Weise erworbenen Reichtum hatte das Geschlecht der Nocedas hinfort damit bezahlt, dass der jeweils älteste Sohn ein Wer-Eber war, dazu verdammt, sich allnächtlich zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang in ein rasendes Untier zu verwandeln. Das ganze neunzehnte und zwanzigste Jahrhundert hindurch hatten die Nocedas ihr Bestes getan, die mit diesem Leiden geschlagenen Erben des Nachts einzusperren, und wenn auch mal Fehler unterliefen (und manch lokale Ungeheuer-Sage auf diesen Fehlern basiert), hatten sie doch unterm Strich die Verbindlichkeit akzeptiert, die irgendein Vorfahr dafür eingegangen war, dass es der Familie ansonsten mehr als gut ging.
Dann war George auf den Plan getreten. Als Kind des sichneigenden zwanzigsten Jahrhunderts hatte er zwar nie an der Macht der dunklen Kräfte gezweifelt – schließlich hatte er bereits einen starken Schweinekuttelngeruch zu verströmen begonnen, als den meisten seiner Altersgenossen gerade mal der erste Oberlippenflaum wuchs, und sich bald darauf zum ersten Mal verwandelt –, aber doch wie die meisten Leute in diesen modernen Zeiten nicht eingesehen, warum er für etwas einstehen sollte, das seine Urururgroßeltern getan hatten. Also schloss er einen Deal mit der Gegenseite: Er würde weitestgehend auf das Familienerbe an Reichtum, Land und Prestige verzichten, und dafür würden sich die Diener der Hölle
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