Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
denn
sie habe gesehen, dass dieser ihn trug. Von ihrem Angebot, ihn zu kaufen, habe er nichts wissen wollen, wohl wegen des Wappens seiner Familie auf dem Griff. Ganz offensichtlich sei ihm die Herkunft des Dolches nicht bekannt gewesen, und so bleibe ihr keine andere Möglichkeit, als ihn gleichsam zurückstehlen zu lassen.
Der Mann stellte keine Fragen und versprach, ihr den Dolch gegen eine entsprechende Belohnung wiederzubeschaffen.
Als Nächstes adressierte sie mit verstellter Handschrift ein Schreiben an Grigorios, wobei ihr der Brief als Vorlage diente, mit dem Dandolo ihre Einladung angenommen hatte. In diesem Schreiben hieß es, Giuliano mache sich erbötig, Grigorios ein Zoe Chrysaphes betreffendes Geheimnis anzuvertrauen, auf das er zufällig gestoßen sei. Als Gegenleistung erwarte er dessen Unterstützung in einer gewissen diplomatischen Angelegenheit, die Byzanz auf keinen Fall schaden werde. Unter das Ganze setzte sie Giulianos gefälschte Unterschrift.
Dann schickte sie einen ebenfalls mit verstellter Schrift verfassten Brief von Grigorios an Giuliano, in dem es hieß, er habe gehört, dass dieser gern Näheres über Magdalena Agallon erfahren würde. Er habe sie gekannt und bewundert und sei gern bereit, ihm mitzuteilen, was er wisse. Es fiel ihr nicht schwer, den Brief mit ›Grigorios Vatatzes‹ zu unterschreiben, denn sie kannte seine Handschrift gut.
Nach getaner Arbeit setzte sie sich in den großen roten Sessel unter den Fackeln in den Wandhaltern und genoss den Augenblick, wobei ihr Herz so heftig schlug, dass sie kaum Luft bekam.
Am Abend der Zusammenkunft zwischen Grigorios und Giuliano überfiel Zoe eine Flut von Zweifeln. Sie stand am Fenster und sah, wie sich in der Dunkelheit auf den Straßen unter ihr Handlaternen wie kriechende Glühwürmchen bewegten. Ob ihre Handlungsweise abwegig war? Die arme Zoe Chrysaphes, einst die bedeutendste Schönheit des byzantinischen Reiches im Exil, Geliebte von Männern aus dem Kaiserhaus, würde bald als verrückte Alte in Lumpen durch die Straßen ziehen, um Menschen umzubringen!
Sie trat zu dem großen Kreuz an der Wand und sah es unverwandt an, um den Rachedurst in sich zu neuem Leben zu erwecken und ihre Schwäche auf diese Weise zu überwinden. Mit Kosmas und Euphrosyne waren die Familien Kantakouzenos und Doukas bereits ausgelöscht und die Vatatzes mit Arsenios’ Tod so gut wie vernichtet – die noch Lebenden waren unerheblich. Jetzt blieb nur noch die Familie Dandolo, und auch mit ihr würde es bald ein Ende haben.
Sie kniete vor der Ikone der Jungfrau Maria nieder. »Gebenedeite Muttergottes, gib mir die Kraft, meine Sendung zu vollenden«, flehte sie.
Sie sah auf zu dem düsteren Gesicht mit seinem goldenen Heiligenschein, und es kam ihr vor, als lächele es ihr zu. Als hätte jemand in ihrem Inneren eine Art Schleusentor geöffnet, pulsierte ihr Blut durch die Adern, und in ihren Muskeln spürte sie erneut die Spannkraft der Jugend.
Sie stand auf, bekreuzigte sich und eilte mit leichtem Schritt in die Nacht hinaus. In der linden Luft trug der Wind Salzgeruch vom Meer herüber. Erst als sie schon eine halbe Meile zurückgelegt hatte, kam ihr der Gedanke, dass die alte Bettlerin, als die sie sich verkleidet hatte, auf keinen Fall so aufrecht und kräftig ausschreiten würde wie sie. Daher
legte sie, nachdem sie um die nächste Straßenecke gebogen war, die verbleibende Meile gebeugt und so langsam und schleppend zurück, als bereite ihr jeder Schritt entsetzliche Qualen.
Sie wusste, welchen Weg Grigorios zu der Stelle im venezianischen Viertel nehmen musste, an der er sich mit Giuliano treffen wollte, und hatte auch genau berechnet, wann er kurz vor diesem dort eintreffen würde. Für das Gelingen ihres Planes war es unerlässlich, die zeitliche Abfolge einzuhalten. Sie griff nach dem Dolch in den Falten ihres Gewandes und bekreuzigte sich erneut. Jetzt brauchte sie nur noch zu warten.
Sie hörte Schritte. Arm in Arm schwankten zwei betrunkene junge Männer die Straße entlang. Sie hörte ihre Stimmen und ihr Gelächter und drückte sich in den Schatten eines Hauseingangs.
Sollte sie Grigorios von hinten angreifen? Nein, das wäre feige. Außerdem wäre er sicher sofort misstrauisch, wenn ihm jemand folgte, doch würde er sich bestimmt nichts dabei denken, wenn ihm eine harmlose Greisin entgegenkam. Sie bückte sich noch tiefer, als sei sie vom Alter verkrüppelt.
Gelächter ertönte auf der Straße, Laternen entschwanden in
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