Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
mit dem Dandolo-Wappen auf dem Griff. Offenbar hatte man ihm die Kehle damit durchgeschnitten. Diesen Dolch hatte sie vor kaum einer Woche in Giulianos Händen gesehen, als er damit einen Pfirsich geteilt und ihr eine Hälfte davon angeboten hatte, weil er nur diesen einen hatte. Sie wusste noch, dass sie über irgendeine Belanglosigkeit gelacht hatten.
Sie untersuchte den Leichnam genauer, um festzustellen, ob er eine Waffe bei sich trug und womöglich ein Kampf stattgefunden hatte. Die Angst beschlich sie, Giuliano könne verwundet sein.
Grigorios hatte, wie sich zeigte, einen Dolch in einer mit Juwelen besetzten Scheide am Gürtel. Es war kein Blut darauf – er hatte ihn nicht einmal gezogen. In seiner Tasche fand sie eine Einladung Giulianos, sich mit ihm an einer Stelle zu treffen, die etwa dreihundert Schritte entfernt lag.
Sie zerriss das Blatt in winzige Fetzen, steckte den Dandolo-Dolch ein und wandte sich dann dem Mann zu, der sie hergebracht hatte. »Helft mir, ihn in die Mitte der Gasse zu ziehen. Dann soll jemand ein Fuhrwerk holen. Steigt darauf, so viele von Euch wie möglich, und fahrt über seinen
Hals, aber nur ein einziges Mal. Dann wird niemand wissen, auf welche Weise er umgekommen ist. Rasch! Beeilt Euch!«
Sie beugte sich vor und versuchte Grigorios’ Leichnam in die Mitte der Gasse zu zerren, dorthin, wo Karrenräder im Laufe der Jahre tiefe Spuren in die Steine gefräst hatten. Obwohl ihr dabei der Schweiß ausbrach, zitterte sie so heftig, dass ihre Zähne klapperten. Sie bemühte sich, nicht daran zu denken, was sie da tat, sondern nur daran, was es Giuliano und die Menschen, die ihr vertraut hatten, kosten würde, wenn ihr Vorhaben misslang. Falls die Obrigkeit einen Mord vermutete, würde jeder von ihnen einen schrecklichen Preis zahlen müssen.
Als sie die Leiche im schwankenden Licht der Laternen in die Mitte der Gasse geschleift hatte, halfen ihr die Frauen, die Stelle zu finden, an der er umgebracht worden war. Damit auch bei Tageslicht niemand sehen konnte, dass man die Leiche vom Tatort weggeschafft hatte, beseitigten sie mit Lauge, Pottasche und kräftigem Bürsten alle Blutspuren, scheuerten, schrubbten und gossen zahllose Eimer Wasser über die Stelle und kratzten sogar zwischen den Pflastersteinen.
Als sie damit fertig waren, führte der Mann, der sie hergebracht hatte, ein altes Pferd am Zügel, das er vor ein Fuhrwerk gespannt hatte. Er sagte nicht, woher er es hatte, und niemand fragte danach.
Das Vorhaben war alles andere als einfach zu bewerkstelligen. Das Pferd, dessen Flanken Schweißflocken bedeckten, rollte mit den Augen, scheute vor dem Geruch nach Blut und Tod und wich der Leiche aus, sobald es in ihre Nähe gelangte. Man musste immer wieder beruhigend auf es einreden, bis es endlich gelang, die Räder einer Seite des
Fuhrwerks über Grigorios’ Hals und Schultern rollen zu lassen.
»Das genügt nicht«, sagte Anna nach einem Blick auf das zerfetzte Fleisch und die vorstehenden Knochen. »Auf keinen Fall darf man auf den Gedanken kommen, dass es sich um einen Mord handelt. Noch einmal. Achtet aber darauf, dass es genau an derselben Stelle geschieht. Dass ein Pferd durchgeht, klingt glaubwürdig, aber niemand wird an einen Unfall glauben, wenn man sehen kann, dass das Fuhrwerk mehrfach über ihn hinweggegangen ist.« Es setzte sich erneut in Bewegung, als der Mann kräftig am Halfter des unwilligen Tieres zog.
»Ein wenig weiter nach links«, gebot sie mit einer Armbewegung. »Noch ein kleines Stück! … So ist es gut. Und jetzt vorwärts.«
Sie zwang sich hinzusehen. Wer die entsetzlich zugerichtete Leiche sah, würde annehmen, dass ein durchgehendes Pferd den Mann umgerissen und mitgeschleift hatte, bis ihn schließlich die Räder des Fuhrwerks überrollt hatten. Sie wandte sich ab.
»Wir sind Euch zu großem Dank verpflichtet«, sagte der Mann, der sie hergebracht hatte, mit bewegter Stimme. »Ich bringe Euch nach Hause.«
»Es ist besser, Ihr bleibt hier. Säubert das Fuhrwerk und die Hufe des Pferdes gründlich, damit man auch dann nichts findet, wenn man nach Spuren sucht. Ich werde der Obrigkeit mitteilen, dass Ihr mich zu einem Unfall gerufen habt.« Sie schluckte erneut. Alles schien sich in ihrem Kopf zu drehen. »Die Sache lässt sich ganz einfach erklären. Finstere Nacht, ein scheuendes Pferd, das durchgeht, ein Mann, der sich hier im venezianischen Viertel nicht auskennt. Ein schlimmer Unfall, aber so etwas kommt vor.
Erfindet aber nichts
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