Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Haupt.«
»Kann man eine Finsternis bekämpfen, indem man sich eine andere zu eigen macht?«, fragte Anastasios sanft.
Ein Schauer überlief Palombara. Er fragte sich, ob es Anastasios damit Ernst war.
»Worin liegt in Euren Augen der Unterschied zwischen Rom und Byzanz, dass Ihr glaubt, das eine als Finsternis und das andere als Licht bezeichnen zu können?«, fragte er.
Nach langem Schweigen gab Anastasios zurück: »Es verhält sich damit viel subtiler, denn zwischen beiden liegen Millionen von Abstufungen. Ich wünsche mir eine Kirche, die uns Mitgefühl und Sanftmut lehrt, Geduld und Hoffnung, die frei von Selbstgerechtigkeit ist und trotzdem Raum lässt für Begeisterung, Lachen und Träume.«
»Ihr habt hohe Ansprüche. Erwartet Ihr all das von Euren Kirchenältesten?«
»Ich brauche eine Kirche, die uns nicht im Wege steht. Meiner festen Überzeugung nach möchte Gott, dass wir etwas erschaffen, andere lehren und sie uns zu Freunden machen. Alles hat zum Ziel, dass wir Gott möglichst ähnlich werden – so, wie alle Kinder davon träumen, wie ihr Vater zu werden.«
Palombara sah ihm aufmerksam ins Gesicht und erkannte darin Hoffnung, Verletzlichkeit und sehnsüchtiges Verlangen.
Natürlich waren das wunderschöne Gedanken, aber sie waren auch zugleich verstörend.
Seiner festen Überzeugung nach würde sich weder die byzantinische noch die römische Kirche solche Gedanken je zu eigen machen. Ihnen wohnte eine für gewöhnliche Menschen viel zu weitgehende Ehrfurcht und Schönheit inne. Um davon zu träumen, musste man einen Blick auf das Herz Gottes werfen können.
Vielleicht konnte das Anastasios ja – ein Grund für Palombara, ihn zu beneiden.
Sie standen in der zunehmenden Dunkelheit. Hinter ihnen leuchteten die Lichter des Hafens. Eine ganze Weile sprach keiner von beiden. Da Palombara fürchtete, Anastasios werde einfach davongehen, womit diese Gelegenheit dahin wäre, sagte er schließlich: »Euer Kaiser ist entschlossen, die Stadt vor Charles von Anjou zu bewahren, indem er den Zusammenschluss mit Rom verkündet, doch kann er seine Untertanen nicht zwingen, ihren alten Glauben wenigstens so weit aufzugeben, dass vor den Augen des Papstes der entsprechende Anschein entsteht.«
Anastasios gab keine Antwort. Palombaras Worte waren ganz offensichtlich nicht als Frage gemeint.
»Ihr habt Euch vor längerer Zeit ziemlich intensiv nach dem Mord an Bessarion Komnenos erkundigt«, fuhr Palombara fort. »Hat es sich dabei um einen vereitelten Versuch gehandelt, den Kaiser zu stürzen und im Anschluss daran für die Bewahrung der religiösen Unabhängigkeit zu kämpfen?«
Anastasios wandte den Kopf ein wenig zu ihm hin. »Was liegt Euch daran, Bischof Palombara? Der Versuch ist fehlgeschlagen. Bessarion ist tot, desgleichen seine Mitverschwörer. «
»Das heißt, Ihr wisst, wer sie waren?«
Anastasios holte bedächtig Luft. »Nur von zweien. Aber was könnten andere ohne sie und vor allem ohne Bessarion ausrichten?«
»Genau diese Frage macht mir Sorgen«, gab Palombara zurück. »Sollte man gegenwärtig ein solches Komplott versuchen, würde das eine entsetzliche Rache auslösen, verglichen mit der die Verstümmelung der Mönche unbedeutend erscheinen würde. Der Einzige, der einen Vorteil davon hätte, wäre Charles von Anjou.«
»Und der Papst«, fügte Anastasios hinzu, dessen Augen aufblitzten. »Doch das wäre für Euch ein bitterer Sieg, Ehrwürdigste Exzellenz, und das Blut, um das er erkauft wäre, würde sich nie von Euren Händen abwaschen lassen.«
KAPİTEL 68
»Wir brauchen die Ikone der Muttergottes, mit der Kaiser Michael im Jahr 1262 in Konstantinopel eingezogen ist, als er sein Volk aus dem Exil zurückgeführt hat«, sagte Vicenze mit Nachdruck.
Palombara gab keine Antwort. Sie standen in dem Raum ihres Hauses, von dem aus der Blick auf den Hafen fiel. Das Licht tanzte auf dem Wasser, und die hohen Masten der Schiffe schwankten sacht hin und her.
»Ohne ein sichtbares Zeichen dafür, dass sich Byzanz tatsächlich Rom unterworfen hat, kommen wir keinen Schritt weiter«, fuhr Vicenze fort. »Das wäre ein solches symbolhaftes Zeichen. Schließlich sind die Menschen hier in der Stadt davon überzeugt, dass diese Ikone sie früher
schon einmal vor dem Eindringen des Feindes bewahrt hat.«
Palombara fiel nichts ein, was er dagegen sagen konnte, und so zögerte er eine konkrete Antwort hinaus, um Zeit zu gewinnen. »Da es unmöglich sein wird, sie in die Hände zu bekommen,
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