Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
angesichts Eures Verlusts auszusprechen, Majestät.«
»Erzählt keinen Unsinn!«, fuhr ihn der Kaiser an. »Ihr seid gekommen, um Euch an unserem Unglück zu weiden und um zu sehen, wie Ihr Nutzen daraus ziehen könnt.«
Palombara lächelte. »Es geht um Nutzen für uns alle, Majestät. Wenn der Islam im Osten und Süden noch mächtiger
wird und weiter gegen die Grenzen der christlichen Länder anrennt, wird mehr als ein Kreuzzug nötig sein, um die Mohammedaner von einem Angriff und einem Eindringen auf unser Gebiet abzuhalten. Bis es so weit ist, werden nicht Jahrhunderte vergehen, sondern unter Umständen nicht einmal Jahrzehnte.«
Die Haut unter dem schwarzen Bart des Kaisers war bleich, aber sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Er hatte zur Zeit der Vertreibung an der Spitze seines Volkes gestanden, er wusste, was Krieg bedeutete, und trug die Narben davon auf seinem Leib. Michael Palaiologos, der nach dem Glauben seiner Kirche auf einer Stufe mit den Aposteln stehende Kaiser von Byzanz, hatte Fehlschläge und Niederlagen erlebt, und er wusste nicht nur, wie man überlebt, er kannte auch den Preis dafür. Um sein Volk zu bewahren, schien er jetzt bereit, einen letzten Preis zu zahlen.
Erstaunt merkte Palombara, dass er Mitgefühl mit diesem so menschlich wirkenden Herrscher empfand, der da in einer mit Edelsteinen besetzten prächtigen roten Dalmatika in seinem nach wie vor teilweise in Trümmern liegenden Palast saß. »Majestät«, sagte er mit demütig klingender Stimme, »dürfte ich eine endgültige Anerkennung der Union mit Rom durch Byzanz vorschlagen, die kein Feind bezweifeln kann, und sei er noch so boshaft oder unwissend?«
Der Kaiser sah ihn mit kaltem Misstrauen an. »Woran denkt Ihr, Bischof Palombara?«
Palombara zögerte eine Weile. »Schickt die Ikone der Heiligen Jungfrau nach Rom, die Ihr bei Eurer Rückkehr aus dem Exil hoch erhoben in die Stadt getragen habt«, sagte er schließlich. »Sie möge als Zeichen der Vereinigung der beiden bedeutendsten christlichen Kirchen auf der Welt
dienen, als Symbol dafür, dass sie bereit sind, Seite an Seite gegen die rings um uns anbrandende Flut des Islam zu stehen. Das wird jedem zeigen, dass Byzanz das Bollwerk Christi gegen die Ungläubigen bildet, denn Rom wird stets auf Eurer Seite stehen. Falls wir Euch im Stich ließen, würden die Feinde Gottes schon bald vor unseren eigenen Toren stehen.«
Der Kaiser schwieg, zeigte weder Empörung noch Abwehr. Als Realist, der er war, dachte er nicht daran, sich gekränkt zu zeigen. Er begriff durchaus die Ironie der Situation, doch er, der sich bisher für so klug gehalten hatte, wusste sich keinen Rat mehr.
»Achtet gut auf sie«, sagte er endlich. »Sie würde eine Entweihung nicht vergeben. Das solltet Ihr fürchten, Bischof Palombara, nicht mich, nicht Byzanz und nicht einmal die Hinterhältigkeit Roms oder die Scharen islamischer Krieger. Fürchtet Gott und die Heilige Jungfrau.«
Eine Woche später brachten Boten des Kaisers die Ikone, die Byzanz über die Jahrhunderte hinweg beschützt hatte, in das palastartige Haus, das Palombara und Vicenze bewohnten. Sie standen in einem der großen Empfangsräume und sahen schweigend zu, wie sie ausgepackt wurde.
Vicenze war von Palombaras Erfolg überwältigt. Mit bleichem Gesicht stand er im Sonnenlicht, das durch die Fenster hereinfiel.
Palombara erkannte auf den Zügen seines Amtsbruders neben unverhohlenem Neid auch unverhohlene Wut darüber, dass es nicht ihm gelungen war, diese Trophäe an sich zu bringen.
Während einer der Abgesandten des Kaisers die Verpackung löste, trat auf Vicenzes Gesicht ein Palombara bisher
unbekannter Ausdruck. Als die letzte Hülle fiel, beugten sich beide schweigend so dicht über die Ikone, dass sie alle Einzelheiten genau erkennen konnten, sogar das feine Craquelé in der Farbschicht und die winzigen Löcher in der Blattvergoldung. Sie war an manchen Stellen von der Vielzahl der Hände, die sie berührt hatten, fast abgerieben.
Vicenze öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, überlegte es sich dann aber anders. Palombara sah nicht einmal zu ihm hin.
Es kostete keine Mühe, ein Schiff zu finden, und Palombara traf die nötigen Absprachen mit einem der vielen Kapitäne am Hafen. Vicenze beaufsichtigte den Mann, der die jetzt noch sorgfältiger als zuvor verpackte Ikone an Bord bringen sollte. Sie hatten die Holzkiste, in die sie mitsamt ihren Umhüllungen gelegt worden war, unauffällig
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