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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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hoffnungsvoll in die Zukunft blicken«, sagte er. »Seht zu, dass Ihr über den Handel so viel herausbekommt, wie Ihr könnt. Gewinne sind möglich, sogar kurzfristige. Versucht auch festzustellen, was andere denken. Viele sind überzeugt, dass uns die Heilige Jungfrau beschützen wird.«
    Giuliano dankte ihm und ließ das Thema einstweilen auf sich beruhen. Ihm war nicht entgangen, mit welcher Selbstverständlichkeit der Venezianer Mocenigo ›uns‹ gesagt hatte, als er von den Bewohnern Konstantinopels sprach. Das wies auf ein enges Gefühl der Zugehörigkeit hin.
    An den folgenden Tagen erkundete Giuliano die Läden an der Mese und die Stände an dem Gewürzmarkt mit den kräftigen Düften und den leuchtenden Farben. Er sprach mit den Venezianern, die in jenem Viertel lebten, hörte sich ihre Scherze und ihre Argumente an. Daheim in Venedig stritt man meist über Handelsfragen, hier aber ging es überwiegend um Religion, Glaube stand gegen Pragmatismus, Versöhnlichkeit gegen Treue zur eigenen Religion. Bisweilen beteiligte er sich daran, mehr mit Fragen als mit Meinungsäußerungen.
    Erst nach gut zwei Wochen ging er weiter hinauf in die Hügel und die alten Gassen, wo die Hausmauern noch dunkle Brandspuren aufwiesen und hier und da von Unkraut überwucherte Schutthaufen lagen, wo zur Jahrhundertwende bewohnte Häuser gestanden hatten. Zum ersten Mal in seinem Leben schämte er sich, Venezianer zu sein.
    Vor allem ein Haus fiel ihm auf, als ein kurzer Regenschauer niederging und er einen Moment stehen blieb. Während ihm das Wasser über das Gesicht lief, sah er auf
die verblasste Farbe eines Wandgemäldes, das eine Frau mit einem Kind in den Armen zeigte. Seine Mutter war noch nicht geboren, als die Stadt zerstört und niedergebrannt wurde, aber so konnte sie ausgesehen haben, jung und schlank, in eine byzantinische Tunika gekleidet, ein Kind an sich gedrückt, eine stolz und freundlich lächelnde junge Frau.

KAPİTEL 17
    »Draußen sind Boten des Kaisers«, sagte Simonis, die mit weit aufgerissenen Augen in die Tür der Kräuterkammer getreten war. »Ihr sollt sie sogleich zum Palast begleiten. Sicher ist er krank.«
    »Irgendjemand im Palast wird krank sein«, gab Anna zurück und folgte ihr in die äußeren Gemächer. »Vielleicht ein Diener.«
    Mit ungeduldigem Schnauben öffnete ihr Simonis die Tür.
    Sie hatte Recht gehabt: Der Kaiser selbst wollte Anastasios konsultieren. Sprachlos nahm Anna ihren Kasten mit Kräutern und Salben und ließ sich die Straßen empor zum Kaiserpalast führen.
    Dort angekommen, geleiteten zwei Waräger aus der Leibwache des Kaisers sie durch zahlreiche Gänge in dessen Privatgemächer. Allem Anschein nach litt er an einem schmerzhaften Ausschlag.
    Nur Zoe konnte so von ihren Fertigkeiten gesprochen haben, dass der Kaiser Anna hatte rufen lassen. Welche Gegenleistung würde Zoe dafür erwarten? Zweifellos eine bedeutende
und möglicherweise eine gefährliche. Doch dem Ruf des Kaisers durfte sich Anna auf keinen Fall versagen, so gern sie es getan hätte. Falls es ihr nicht gelang, ihn zu heilen, konnte das das Ende ihres Erfolgs im Kreis der Wohlhabenden und Einflussreichen der Stadt bedeuten. Mit Sicherheit würde Zoe sie nicht länger empfehlen, und sie würde von Glück sagen können, wenn sich deren Rache auf die Schädigung von Annas Ruf beschränkte. Dabei war ihr nur allzu schmerzlich bewusst, dass sich bei weitem nicht jeder Hautausschlag heilen ließ, nicht einmal mit den jüdischen und arabischen Medikamenten, die sie verwendete – von denen der christlichen Ärzte ganz zu schweigen.
    Auch wenn die Zeiten, in denen Palasteunuchen eine bedeutende Rolle gespielt hatten, der Vergangenheit angehörten und der Kaiser nicht mehr ausschließlich über sie mit der Außenwelt verkehrte, gab es am Hof noch eine ganze Reihe von ihnen. Daher musste sie, die vortäuschte, einer von ihnen zu sein, besonders sorgfältig darauf achten, sich keine Blöße zu geben.
    So sehr hatte sie sich bemüht, Leo in allem nachzuahmen, dass sie das Gefühl für ihre eigene Identität zu verlieren begann. Sie behauptete, Aprikosen nicht ausstehen zu können, während sie diese Früchte in Wahrheit schätzte, tat so, als esse sie gern süßes Gebäck voller Honig, obwohl es sie im Halse würgte. Sie bediente sich seiner Ausdrücke, sprach in seiner Stimmlage und verachtete sich dafür. All das tat sie ausschließlich deshalb, weil es Sicherheit bedeutete. Nichts von ihrem früheren weiblichen Ich

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