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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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durfte übrig bleiben, denn es könnte sie verraten.
    Wie lächerlich machte sie sich damit, dass sie jetzt durch die endlosen Gänge hinter einem Hofbeamten und den
baumlangen Warägern durch die Gänge eilte, in der Hoffnung, die vom Vater erlernte Kunst am Kaiser zu erproben – am Kaiser! Und warum das alles? Weil sie glaubte, sie könne Ioustinianos retten. Ihr Vater hätte sie verstanden und ihr Bestreben gebilligt, wenn er auch möglicherweise in Zweifel gezogen hätte, ob die Art und Weise vernünftig war, mit der sie ihr Ziel erreichen wollte. Was hätte er von ihr gedacht, wenn er gewusst hätte, was sie Ioustinianos schuldete? Er war gestorben, bevor sie den Mut gefunden hatte, es ihm zu gestehen.
    Der Hofbeamte war stehen geblieben, und ein hochgewachsener breitschultriger Mann trat an seine Stelle. Er hatte das glatte Gesicht eines Eunuchen, wie auch die langen Arme und die sonderbar anmutigen Bewegungen. Er war mit Sicherheit älter als sie selbst, doch hätte sie unmöglich sagen können, wie alt. Das hing unter anderem damit zusammen, dass bei Eunuchen nicht nur die Haut eher wie die einer Frau war, sondern ihnen auch die Haare mit zunehmendem Alter seltener ausgingen als unverschnittenen Männern. Mit leiser und wohlklingender Stimme sagte er: »Ich heiße Nikephoros und werde Euch zum Kaiser führen. Braucht Ihr etwas, was wir Euch bringen sollen? Wasser? Weihrauch? Öle?«
    Sie sah ihm kurz in die Augen und senkte dann den Blick. Sie durfte auf keinen Fall vergessen, dass es sich bei ihm um einen der höchsten Höflinge von Byzanz handelte. »Etwas Wasser wäre nützlich, und an Ölen könnt Ihr bringen lassen, was der Kaiser am meisten schätzt«, gab sie zur Antwort.
    Nikephoros gab einem Diener, der an einer Tür stand, eine Anweisung. Dann entließ er den Hofbeamten, der Anna gebracht hatte, wie auch die beiden Waräger und geleitete
sie selbst bis unmittelbar vor das Gemach des Kaisers. Dort blieb er stehen. Anna hatte den Eindruck, er habe ihre Verkleidung durchschaut und stehe im Begriff, ihr das zu sagen. Einen entsetzlichen Augenblick lang fragte sie sich, ob man sie abtasten würde, bevor sie eintreten durfte. Dann kam ihr ein fürchterlicher Verdacht bezüglich der Stelle, an der sich der Hautausschlag befinden könnte, und sie musste daran denken, dass man ihr nie verzeihen würde, das gesehen zu haben. Ihr kam sogar der Gedanke, rasch die Irreführung zu gestehen, bevor es zu spät war. Der Schweiß brach ihr aus, und das Blut pulsierte betäubend laut in ihren Ohren.
    Nikephoros hatte etwas gesagt. Er merkte, dass sie es nicht gehört hatte.
    »Er hat Schmerzen«, wiederholte er geduldig. »Fragt ihn nur, was Ihr unbedingt wissen müsst, und sprecht ihn stets in aller Form an. Starrt ihn nicht an. Dankt ihm, wenn Ihr den Wunsch danach habt, aber bringt ihn nicht in Verlegenheit. Seid Ihr bereit?«
    Nein, das war sie nicht, und sie würde es nie sein, doch zum Davonlaufen war es jetzt zu spät. Sie musste allen Mut zusammennehmen. Was immer vor ihr lag, es würde nicht so schrecklich sein wie eine Umkehr. »Ja, ich … bin bereit.« Ihre Stimme klang gequetscht. Mit einem Mal fand sie die Situation absurd und hätte fast hysterisch gelacht. Sie tat so, als müsse sie niesen, um diese Anwandlung zu verbergen. Bestimmt hielt Nikephoros sie für einen Einfaltspinsel.
    Er führte sie in das riesige Schlafgemach des Kaisers. Im Unterschied zu den Empfangs – und Amtsräumen war es auch nach elf Jahren kaum wieder hergerichtet worden. Der Kaiser lag unter einem bis zur Taille reichenden Laken; den Oberkörper bedeckte eine lose Tunika. Seine Haut war
gerötet, Gesicht und Hals rot gefleckt. Das von grauen Fäden durchzogene schwarze Haar war wirr und klebte am Kopf.
    »Majestät, der Arzt, Anastasios Zarides«, sagte Nikephoros deutlich, aber leise. Er bedeutete Anna mit einer Handbewegung, ans Lager des Kaisers zu treten. Das tat sie mit so viel Zuversicht, wie sie aufzubringen vermochte. Je mehr Angst man hatte, desto wichtiger war es, Entschlossenheit zu zeigen. Das hatte ihr der Vater immer wieder eingeschärft.
    »Majestät, darf ich Euch dienen?«, fragte sie.
    Der Kaiser musterte sie neugierig von Kopf bis Fuß. »Die Juden haben keine Eunuchen, aber Zoe Chrysaphes hat gesagt, dass Ihr Euch mit der jüdischen Medizin auskennt.«
    Alles im Raum verschwamm vor ihren Augen. Heiß stieg ihr das Blut in die Wangen. »Majestät, ich bin Byzantiner aus Nikaia, habe mich aber mit allen Arten

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