Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
»Das ist ein wahrhaft edles Bestreben, und ich nehme Euer Angebot gern an. Wir wollen gleich morgen beginnen. Ich war mutlos und unsicher, was ich als Nächstes tun könnte, um unsere Sache zu befördern, und Gott hat meine Gebete durch Euch erhört, Anastasios.«
Angenehm überrascht von der Bereitwilligkeit, mit der er ihrem Vorschlag zustimmte, lächelte sie. »Sagt mir, mit welchen Leiden ich am ehesten rechnen muss, damit ich die geeigneten Kräuter mitnehme.«
»Die häufigsten sind Hunger und Furcht«, gab er betrübt zurück. »Aber wir werden auch Lungen – und Magenkranke finden und zweifellos Menschen mit von Armut, Insekten und Schmutz hervorgerufenen Hautleiden. Bringt mit, was Ihr könnt.«
»Das werde ich tun«, versprach sie.
Sie begleitete ihn an jeweils mindestens zwei Tagen in der Woche auf seinem Weg durch die Gassen der Armenviertel am Hafen, in deren heruntergekommenen Häusern die Menschen beengt wohnten. Dabei stießen sie auf viele Kranke, zumal in der Sommerhitze alles voller Fliegen saß und kaum Regen fiel, der den Unrat davonspülte. Es war für Anna schwierig, die körperlichen Leiden zu behandeln, ohne die seelischen Nöte außer Acht zu lassen, zumal Bischof Konstantinos stets in der Nähe war und sie damit rechnen musste, dass ihm alles hinterbracht werden konnte, was sie zu einem Patienten sagte.
Oft hörte sie: »Ich habe meine Sünden bereut – warum geht es mir nicht besser?«
»Es geht schon besser«, pflegte sie dann zu antworten, »aber Ihr müsst auch die Medizin nehmen. Sie hilft.« Wenn sie sich dann zu erinnern versuchte, welcher Schutzpatron jeweils für bestimmte Krankheiten zuständig war, ging ihr auf, dass sie in keiner Weise daran glaubte. Wohl aber glaubten die Patienten daran, und allein das war wichtig. Daher fügte sie hinzu: »Betet zum heiligen Antonius Abt und streicht die Salbe auf«, oder was auch immer zur Behandlung der jeweiligen Krankheit nötig war.
Allmählich begann sie zu vergessen, welche Rolle Bischof Konstantinos bei den Aufständen gespielt hatte. Er liebte die Menschen unübersehbar und kümmerte sich unermüdlich um sie. Mit der Echtheit und Festigkeit seines Glaubens gelang es ihm, vielen die lähmende Furcht zu nehmen.
Immer wieder spendete er Trost. »Gott wird Euch nie im Stich lassen, aber Ihr müsst stark sein im Glauben und der Kirche die Treue bewahren. Tut stets das Beste, was Ihr könnt.«
Auch Anna empfand das Bedürfnis nach einem Menschen, der mehr wusste als sie und dessen Glaubensgewissheit ihre nagenden Zweifel heilen konnte. Wie hätte sie anderen diesen Trost vorenthalten können?
Am Ende eines besonders anstrengenden Tages war sie froh, dass Konstantinos sie zu sich zum Essen einlud, denn sie war müde und hungrig.
Es war ein stiller Sommerabend. Sie saßen einander am Tisch gegenüber und teilten die aus Brot und Öl, Fisch und ein wenig Wein bestehende einfache Mahlzeit miteinander. Angesichts der Armut, die sie in den vergangenen Wochen miterlebt hatte, wäre ein üppiges Mahl unmoralisch gewesen.
Es war schon spät, und die Fackeln warfen ihr warmes, gelbliches Licht auf die Wände, wo es sich im Gold der Ikonen brach. Der Tisch war abgeräumt, nur noch eine elegante Keramikschale mit Feigen stand darauf.
Sie sah zu dem Bischof hin. Die Müdigkeit hatte tiefe Linien in sein Gesicht gegraben, und seine Schultern hingen herab, als laste das Leiden all seiner Mitmenschen darauf.
Als er merkte, dass sie ihn ansah, hob er lächelnd den Blick. »Was beschäftigt Euch, Anastasios?«, fragte er und sah ihr prüfend ins Gesicht.
Nur allzu gern hätte sie die Last der Schuld bei ihm abgeladen, die mitunter so schwer wog, dass sie zweifelte, ob sie sie würde tragen können. Aber es war ausgeschlossen, dass sie ihm etwas davon sagte.
»Ich mache mir Sorgen«, erwiderte sie schließlich. »Aber ich denke, dass es vielen so geht. Vor kurzem hat man mich zum Kaiser gerufen, um ihn zu behandeln …«
Verblüfft sah er auf. Sein Gesicht verfinsterte sich, doch unterbrach er sie nicht.
»Dabei habe ich einige seiner Ansichten näher kennengelernt«, fuhr sie fort. »Natürlich habe ich mich nicht dazu geäußert. Ich denke, er ist entschlossen, die Union mit Rom um jeden Preis zu suchen, weil man uns seiner Überzeugung nach andernfalls erneut überfallen würde.« Sie sah mit festem Blick zu Konstantinos hin. »Ihr kennt die Armut in unserem Lande weit besser als er. Um wie viel schlimmer würde es werden, wenn
Weitere Kostenlose Bücher