Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Unfall gerufen worden war, hatte Ioustinianos ihren Irrtum entdeckt.
Er kannte sich gut genug aus, um zu begreifen, was geschehen war, und um zu wissen, was zu tun war. Er hatte ein starkes Brechmittel zubereitet und war damit zu dem Patienten geeilt, der bereits sehr schwach war. Er hatte es ihm eingegeben und anschließend ein Abführmittel, um das restliche Opium aus dem Körper zu entfernen. Die Schuld am Fehler der Schwester hatte er auf sich genommen
und um die Praxis des Vaters zu retten und Annas Zukunft nicht zu gefährden, den aufgebrachten Patienten beschwichtigt, indem er feierlich gelobt hatte, die Heilkunde aufzugeben. Der Mann hatte sich damit zufriedengegeben und versprochen zu schweigen, solange sich Ioustinianos an sein Gelöbnis hielt.
Das hatte er getan und sich dem Handel zugewandt. Schon bald hatte sich seine Begabung dafür gezeigt, und so hatte der Erfolg nicht auf sich warten lassen. Doch das war nicht dasselbe wie die Heilkunst!
Nicht nur hatte er Anna ihres Fehlers wegen nie getadelt oder ihr vorgehalten, was er ihn gekostet hatte, er hatte ihn vor allem dem Vater gegenüber nicht nur nicht angesprochen, sondern auch die Entscheidung, die Heilkunde aufzugeben und sich dem Handel zuzuwenden, als eigenen Entschluss hingestellt. Seiner Überzeugung nach eignete sich Anna ohnehin besser für den Heilberuf als er. Die Mutter war bitter enttäuscht gewesen, und der Vater hatte sich mit keiner Silbe dazu geäußert.
Nach wie vor brannte die Scham in Anna. Sie hatte Ioustinianos gebeten, die Wahrheit zu sagen und zuzulassen, dass sie ihre Schuld auf sich nahm, doch er hatte ihr klargemacht, dass die Zusage des Patienten, Stillschweigen zu bewahren, mit den vereinbarten Bedingungen verknüpft war. Falls sie zu ihm ginge, um den Sachverhalt aufzuklären, würde sie ihre Zukunftsaussichten zunichtemachen, ohne damit etwas für ihren Bruder zu tun – ganz davon abgesehen, dass das auch dem Vater schaden könnte. Wenn sie dem Mann jetzt eine andere Geschichte auftischte, würde er das günstigstenfalls als hinterhältig ansehen, im schlimmsten Fall aber beide Geschwister als unfähig erscheinen lassen. Schweren Herzens hatte sie eingesehen, dass er damit
Recht hatte, und um des Vaters willen geschwiegen. Nie hatte sie erfahren, wie viel der von der Wahrheit wusste oder sich zusammengereimt hatte.
Ihr Fehler hatte Ioustinianos um alle Aussichten gebracht, den Beruf eines Heilkundigen auszuüben. Damit hatte er ein Anrecht darauf erworben, so gut wie alles von ihr zu verlangen. Doch davon abgesehen, dass er sie gedrängt hatte, Eustathios zu heiraten – weil er überzeugt war, damit ihr Glück und ihre Sicherheit zu garantieren –, hatte er keinerlei Ansprüche erhoben. Was auch immer sie jetzt tun konnte, um seine Schuldlosigkeit zu beweisen und seine Freilassung zu erreichen, wäre wenig genug, und so zögerte sie nicht, ihr Werk fortzusetzen.
KAPİTEL 19
Anna wusste, wie gefährlich es war, sich in einer vom Meinungsstreit zerrissenen Gesellschaft und vor dem Hintergrund der drohenden Gefahr danach zu erkundigen, wer sich gegen wen gestellt hatte. Doch die Antwort auf die Frage nach Bessarions Mörder würde ihr auch künftig nicht in den Schoß fallen – sie musste weiter danach suchen.
Was wusste Bischof Konstantinos? Noch einmal bei ihm zu beginnen schien ihr der günstigste Ansatzpunkt zu sein, und so suchte sie ihn kurz entschlossen auf.
Draußen im Hof schien heiß die Sommersonne, doch im Zimmer, das im Schatten lag, war es kühl. Der Bischof schien sich von seiner Krankheit nahezu vollständig erholt zu haben.
»Was kann ich für Euch tun, Anastasios?«, fragte er.
»Ich musste unwillkürlich daran denken, wie Ihr Euch verausgabt, indem Ihr den Armen und denen helft, die Glaubens – und Gewissenszweifel haben …«, setzte Anna an.
Er lächelte, und seine Schultern entspannten sich sichtlich, als habe er eher eine kritische Äußerung erwartet.
»Da meine Einkünfte als Heilkundiger inzwischen mehr als ausreichen, um die Ausgaben für meinen Haushalt zu bestreiten«, fuhr sie fort, »würde ich gern einen Teil meiner Zeit denen widmen, die nicht dafür zahlen können. Dabei möchte ich mich auf Eure Hinweise stützen, wer dessen am meisten bedarf.« Sie zögerte nur einen kurzen Augenblick. »Vielleicht hättet Ihr es gern, dass ich Euch begleite, so dass ich Kranke beraten und auch unverzüglich mein Werk an ihnen tun kann?«
Dieser Vorschlag schien ihn sichtlich zu freuen.
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