Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
ihr nicht sagen konnte. War es etwas, was ihm Ioustinianos in der Beichte anvertraut hatte? Sie versuchte es auf andere Weise.
»Man hat ihn mehrere Male umzubringen versucht – bis es gelang«, sagte sie bedeutungsvoll. »Es muss also Menschen gegeben haben, die der Ansicht waren, dass von ihm eine schwere Bedrohung für sie oder etwas ausging, die sie ihre Sicherheit oder Fragen der Moral in den Wind schlagen ließ.«
Er widersprach ihr nicht und ließ sie weiterreden. Sie beugte sich ein wenig weiter vor. »Gewiss liegt die Kirche keinem mehr am Herzen als Euch, und ich bin sicher, dass allen Bewohnern von Konstantinopel bewusst ist: Niemand dient ihr so hingebungsvoll und so ehrenhaft wie Ihr. Euer Mut hat Euch nie verlassen.«
»Danke«, sagte er schlicht, doch sein Gesicht strahlte vor Freude.
Sie senkte die Stimme. »Ich fürchte um Euch. Wenn jemand bereit war, Bessarion zu töten, der im Vergleich zu Euch so wenig bewirkt hat – könnte man da nicht versuchen, auch Euch zu ermorden?«
Sein Kopf fuhr hoch, seine Augen waren weit aufgerissen. »Meint Ihr? Wer würde einen Bischof töten, weil dieser Gottes Wort verkündet?«
Sie senkte den Blick auf den Tisch und sah dann wieder rasch zu ihm hin. »Sofern der Kaiser der Ansicht war, Bessarion werde ihm beim Zusammenschluss mit Rom Steine in den Weg legen und damit die Stadt gefährden, ist es da nicht denkbar, dass er selbst den Auftrag zu seiner Ermordung gegeben hat?«
Zweimal setzte der Bischof zum Sprechen an, ohne etwas zu sagen.
Ob ihm dieser Gedanke wirklich noch nicht gekommen war? Oder kannte er die wahren Hintergründe und wusste, dass sich die Dinge anders verhielten?
»Davor habe ich Angst.« Sie nickte bekräftigend. »Bitte seht Euch vor. Ihr seid unser wertvollster Anführer und unsere einzige wirkliche Hoffnung. Was würden wir ohne Euch tun? Die Menschen wären verzweifelt. Wenn man Euch tötete, käme es womöglich zu Ausschreitungen, die nicht nur den Untergang der Stadt heraufbeschwören und alle Aussichten zunichtemachen könnten, dass sich die Menschen von Byzanz zusammenschließen. Bedenkt doch, was das für das Seelenheil derer bedeuten würde, die sich dabei mit einer schweren Sünde befleckten. Sie würden ohne Absolution sterben, denn wer könnte sie ihnen erteilen?«
Er sah sie unverwandt an, allem Anschein nach von ihren Worten entsetzt.
»Ich muss mich weiterhin meiner Aufgabe widmen«, sagte er mit gerötetem Gesicht und am ganzen Leibe zitternd. »Der Kaiser mitsamt all seinen Beratern, unter ihnen sogar der neue Patriarch, hat neben unserer ererbten Kultur auch die alte Lehre vergessen, die Geist und Seele in Zucht hält. Sie sind bereit, all das aufzugeben, nur um unter der Fuchtel Roms weiterleben zu dürfen. Dabei übernehmen sie allen Aberglauben und die in grellen Farben dargestellten Heiligen jener Kirche mit, die den Sündenablass für Geld verkauft. Ihr Glaube gründet sich auf Gewalttat und Opportunismus, und was sie den Menschen anbietet, sind Scheinlösungen. Der Papst und seine Kardinäle sind die wahren Barbaren.« Er sah sie an, als sei es ihm in diesem Augenblick geradezu ein körperliches Bedürfnis, dass sie ihn verstand.
Das bereitete ihr Unbehagen, und die Nähe, in die sie dadurch zu ihm geriet, machte sie verlegen. Ihr fiel nichts ein, was der Situation auch nur annähernd gerecht geworden wäre.
Mit einer Stimme, der man den Schmerz anhörte, fuhr er fort: »Sagt mir doch, Anastasios, welchen Sinn hätte es weiterzuleben, wenn wir uns beschmutzten und aufs Äußerste erniedrigten, statt zu bleiben, wer wir sind? Was wäre unsere Generation wert, wenn wir alles verrieten, was unseren Vorfahren am Herzen lag und wofür sie gestorben sind?«
»Nichts«, sagte sie schlicht. »Aber gebt acht. Jemand hat Bessarion ermordet, weil er sich an die Spitze der Bewegung gegen Rom gestellt hatte, und es verstanden, es so hinzustellen, als sei Ioustinianos der Schuldige, obwohl er, wie Ihr selbst sagt, ebenso dachte wie Bessarion.« Wieder beugte sie sich vor. »Wenn der Grund für diese Tat nicht da lag – wo dann?«
Er holte tief Luft und stieß sie mit einem Seufzen wieder aus. »Ihr habt Recht. Es gibt keinen anderen Grund.«
»Dann achtet bitte auf Euch«, sagte sie eindringlich. »Wir haben mächtige Feinde.«
»Ja, und deshalb brauchen wir mächtige Verbündete.« Er nickte bedächtig, als sei er erst jetzt darauf gekommen. »Wir werden sie unter den angesehenen Mitgliedern der wohlhabenden
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