Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
ist Ihre Primadonna schon ihren Job los. Hat diesen Roadkill laufen lassen – und das schon zum zweiten Mal.«
»Er hat das Mädchen nicht getötet.«
»Darum geht’s doch gar nicht, Laz. Die Leute sehen all die scheußlichen Sachen, die passiert sind und passieren: tote Jungen in Straßengräben, tote Mädchen in Müllsäcken, alle naselang wird ein Kind entführt. Cleaver kommt frei, obwohl wir alle wissen, dass er es getan hat. Und jetzt ist auch noch Roadkill auf freiem Fuß.« Er biss wieder herzhaft in sein Sandwich. »In den Augen der Leute ist er schuldig.«
»Aber er war es nicht!«
»Die Wahrheit interessiert hier doch kein Schwein mehr. Das wissen Sie auch, Laz.«
Bedrückt musste Logan zugeben, dass Miller Recht hatte. Sie aßen schweigend weiter.
»Und was macht Ihre andere Story?«, fragte Logan nach einer Weile.
»Welche?«
»Als Sie mir erzählten, dass Sie lieber die Finger von Geordie dem Knielosen lassen, da haben Sie hinzugefügt, Sie hätten noch etwas weniger Gefährliches an der Hand.«
Der Reporter schlürfte seinen Kaffee. »Ach, das meinen Sie.« Er hielt inne und blickte durchs Fenster auf das Schneetreiben, die Brecher und die aufgewühlte See hinaus. »Nicht so toll.« Er verstummte.
Logan beendete das Schweigen erst, als ihm klar war, dass Miller von sich aus keine Einzelheiten preisgeben würde. »Und? Was war es?«
»Hm?« Miller zwang seine abschweifende Aufmerksamkeit wieder an den Cafétisch zurück. »Ach ja. Es gibt da dieses Gerücht über einen Typen, der auf dem Markt aufgetaucht ist und hinter einer ganz besonderen Ware her ist. Etwas, was nicht viele verkaufen.«
»Drogen?«
Der Reporter schüttelte den Kopf. »Nix da. Frischfleisch.«
Das klang ja ziemlich albern. »Wie? Etwa Schweine und Hühner und Kühe und so was?«
»Nicht die Art von Fleisch.«
Logan lehnte sich zurück und musterte den wortkargen Reporter. Sein Gesicht, normalerweise wie ein offenes Buch, war verschlossen und zerfurcht. »Also, auf welche Art von Fleisch hat es dieser Käufer denn nun abgesehen?«
Miller zuckte die Achseln.
»Schwer zu sagen. Es macht ja niemand den Mund auf. Und wenn, kommt auch nichts Gescheites raus. Vielleicht eine Frau, vielleicht einen Mann, einen Jungen, ein Mädchen …«
»Man kann doch Menschen nicht einfach kaufen!«
In dem Blick, den Miller Logan zuwarf, lag eine Mischung aus Mitleid und Verachtung. »Sind Sie vielleicht auf einer Bananenschale über den Clyde dahergeschwommen? Na klar kann man Menschen kaufen! Sie müssen nur mal einen Streifzug durch die entsprechenden Ecken von Edinburgh machen, da können Sie alles kaufen, was das Herz begehrt. Waffen, Drogen. Und auch Frauen.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Hab ich Ihnen nicht erzählt, dass Malk the Knife Nutten aus Litauen importiert? Was glauben Sie denn, was er mit denen macht?«
»Ich dachte, er vermietet sie stundenweise …«
Miller lachte säuerlich. »Na klar. Man kann sie mieten oder kaufen. Und auf die mit leichten Mängeln gibt’s Rabatt.«
Logans ungläubige Miene entlockte ihm einen Seufzer. »Also, normalerweise sind die Zuhälter seine Kunden. Eins ihrer Pferdchen spritzt sich ’ne Überdosis, also gehen sie in Malkies Selbstbedienungsladen und holen sich Ersatz. Eine litauische Nutte, fast wie neu, zum Schnäppchenpreis vom Wühltisch.«
»Mein Gott!«
»Die meisten von den armen Tussen können noch nicht mal Englisch. Sie werden gekauft, mit Crack süchtig gemacht, vermietet, aufgebraucht und wieder auf die Straße gesetzt, wenn sie zu abgetakelt sind, um für die Freier noch interessant zu sein.«
Sie saßen schweigend da; die einzigen Geräusche waren das dumpfe Zischen der Espressomaschine und das Tosen des Sturms, das schwach durch die Doppelglasfenster drang.
Logan wollte nicht zurück ins Büro. Das redete er sich jedenfalls ein, als Miller ihn am Castlegate aussteigen ließ. Er würde sich noch rasch im Laden an der Ecke ein paar Flaschen Wein und ein bisschen Bier besorgen und es sich dann in seiner Wohnung am Kamin gemütlich machen. Ein Buch, ein Glas Wein, und zum Abendessen was vom Chinesen oder Inder.
Aber dann stand er immer noch in der tristen Empfangshalle des Präsidiums und ließ den schmelzenden Schnee aus seinen Kleidern auf das Linoleum tropfen.
Wie üblich wartete ein Stapel Nachrichten von Peter Lumleys Stiefvater auf ihn. Logan gab sich alle Mühe, sie aus seinem Bewusstsein zu streichen. Es war Sonntag;
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