Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
nicht! Scheiße, ich bin schließlich zu Ihnen gekommen, nachdem ich dieses Kind gefunden habe, oder nicht? Warum sollte ich das wohl machen, wenn ich ihn umgebracht hätte, hä? Ich würde nie ein Kind umbringen. Ich liebe Kinder!«
Constable Watson zog eine Augenbraue hoch, und Nicholson starrte sie finster an.
»Nicht so, wie Sie meinen! Ich hab Neffen und Nichten, okay? Scheiße, so was würd ich niemals tun!«
»Dann gehen wir noch mal zurück zum Anfang.« Logan ruckelte seinen Stuhl näher an den Tisch. »Wie kommen Sie dazu, mitten in der Nacht im strömenden Regen am Ufer des Don herumzuspazieren?«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, ich war besoffen …«
»Wie kommt es, dass ich Ihnen nicht glaube, Duncan? Wieso habe ich das Gefühl, dass der Bericht der Spurensicherung Beweise für eine Verbindung zwischen Ihnen und dem Jungen enthalten wird?«
»Ich hab nichts getan!«, schrie Nicholson und hämmerte dabei mit der Faust auf den Tisch.
»Wir haben Sie am Wickel, Duncan. Sie machen sich nur selbst was vor, wenn Sie glauben, Sie könnten sich aus der Sache rausreden. Meiner Meinung nach dürfte Ihnen ein kleiner Aufenthalt in der Zelle ausgesprochen gut tun. Wir unterhalten uns wieder, sobald Sie bereit sind, die Wahrheit zu sagen. Vernehmung beendet um dreizehn Uhr sechsundzwanzig.«
Er ließ Constable Watson Nicholson nach unten in den Zellenblock bringen und blieb im Vernehmungsraum sitzen, bis sie zurückkam.
»Was denken Sie?«, fragte er.
»Ich glaube nicht, dass er es war. Er ist nicht der Typ dafür. Nicht clever genug, um überzeugend lügen zu können.«
»Wohl wahr.« Logan nickte. »Aber trotzdem lügt er uns an. Sie können mir nicht erzählen, dass er da unten am Fluss nur einen nächtlichen Spaziergang gemacht hat. Wenn einer sich die Hucke voll säuft, geht er nicht hinterher einfach nur zum Spaß bei so einem Sauwetter vor die Tür und stiefelt am Flussufer rum. Er war aus einem ganz bestimmten Grund dort; wir wissen nur noch nicht, welcher es war.«
Der Hafen von Aberdeen glitt am Wagenfenster vorbei, grau und trist. Einige wenige Versorgungsschiffe für die Ölplattformen vor der Küste lagen in den Docks vor Anker. Ihr lebhafter gelb-orangefarbener Anstrich erschien durch den dichten Regen getrübt. Lichter funkelten im Halbdunkel des Nachmittags, während Container von Lkws auf die wartenden Schiffe verladen wurden.
Logan und Constable Watson waren auf dem Weg zurück zum Haus von Richard Erskines Mutter in Torry. Jemand hatte sich tatsächlich daran erinnert, den vermissten Jungen gesehen zu haben. Eine gewisse Mrs. Brady hatte beobachtet, wie ein kleiner Junge, der einen roten Anorak und Bluejeans trug, das unbebaute Grundstück hinter ihrem Haus überquerte. Es war der einzige Hinweis, den sie bislang hatten.
Es war kurz vor halb drei. Als Logan das Radio einschaltete, um die Nachrichten zu hören, erklangen die letzten Takte eines alten Beatles-Songs. Erwartungsgemäß war Richard Erskines Verschwinden die Topmeldung. DI Inschs Stimme dröhnte aus den Lautsprechern; er forderte die Bevölkerung auf, Informationen über den Verbleib des Jungen unverzüglich der Polizei zu melden. Er hatte einen natürlichen Hang zum Dramatischen, was jeder, der ihn einmal im alljährlichen weihnachtlichen Märchenspiel hatte bewundern dürfen, bestätigen konnte, doch er hielt sich bewusst zurück, als der Nachrichtenmoderator ihm die nahe liegende Frage stellte:
»Glauben Sie, dass Richard von dem gleichen Pädophilen entführt wurde, der David Reid ermordet hat?«
»Im Augenblick sind wir nur daran interessiert, Richard wohlbehalten wiederzufinden. Wir bitten alle Bürger, die sachdienliche Hinweise geben können, unsere Hotline anzurufen, unter der Nummer null achthundert fünf fünf fünf neun neun neun.«
»Danke, Inspector. Und nun weitere Nachrichten. Der Prozess gegen Gerald Cleaver, einen sechsundfünfzigjährigen ehemaligen Krankenpfleger aus Manchester, wird heute unter starken Sicherheitsvorkehrungen fortgesetzt, nachdem der Anwalt des Angeklagten, Sandy Moir-Farquharson, Morddrohungen erhalten hatte. Mr. Moir-Farquharson äußerte sich gegenüber Northsound News …«
»Hoffen wir mal, dass das nicht nur leere Drohungen waren.« Logan schaltete das Radio aus, ehe die Stimme des Anwalts aus den Lautsprechern dringen konnte. Sandy Moir-Farquharson verdiente es, Morddrohungen zu bekommen. Er war das aalglatte Arschloch, das auf mildernde Umstände für Angus Robertson plädiert
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