Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
breiter, als er Watson entdeckte, die ihn aus dem Flur finster anstarrte. »Constable! Wir haben gerade von Ihnen gesprochen!«
»Was wollen Sie?« Ihre Stimme war noch kälter als der graue Nachmittag.
»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, wie?« Miller fischte ein teuer aussehendes Diktiergerät aus der Tasche und hielt es den beiden unter die Nase. »Sie haben es wieder mit einem vermissten Kind zu tun. Haben Sie …«
Logan runzelte die Stirn. »Woher wissen Sie, dass wieder ein Kind vermisst wird?«
Miller deutete auf die regennasse Straße hinter sich. »Ihre Streifenwagen machen gerade die Runde mit der Beschreibung des Jungen! Was glauben Sie denn, wie ich es rausgefunden habe?«
Logan war bemüht, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.
Miller zwinkerte ihm zu. »Ach, machen Sie sich nichts draus. Ich latsche auch ständig in irgendwelche Fettnäpfchen.« Er hielt das Diktiergerät wieder hoch. »Also, gibt es irgendeine Verbindung zwischen dem Verschwinden dieses Kindes und dem jüngsten Leichenfund …«
»Wir können derzeit keinen Kommentar abgeben.«
»Ach, kommen Sie schon!«
Hinter Millers Rücken war ein weiterer Wagen vorgefahren. Auf der Tür prangte das Logo von BBC Scotland . Es war ein großer Tag für die Medien. Gestern erst war ein kleiner Junge tot aufgefunden worden, und heute wurde bereits der nächste vermisst. Sie würden alle die gleichen voreiligen Schlüsse ziehen wie Miller. Logan konnte die Schlagzeilen schon vor sich sehen: » Hat der pädophile Killer wieder zugeschlagen?« Der Polizeipräsident würde im Dreieck springen .
Miller wandte sich ab, um Logans Blick zu folgen, und erstarrte. »Wie wär’s, wenn …«
»Tut mir Leid, Mr. Miller. Ich kann Ihnen im Moment keine weiteren Einzelheiten geben. Sie werden schon die offizielle Presseerklärung abwarten müssen.«
Er musste nicht lange warten. Fünf Minuten später fuhr DI Inschs schlammbespritzter Range Rover vor. Inzwischen hatte sich ein kleiner Kordon aus Presse- und Fernsehreportern gebildet, die mit Mikrofonen und Kameras bewaffnet den Hauseingang belagerten und sich unter großen schwarzen Regenschirmen duckten. Es sah aus wie bei einer Beerdigung.
Insch stieg gar nicht erst aus, sondern ließ nur sein Fenster herunter und winkte Logan heran. Die Kameras schwenkten herum, um einzufangen, wie Logan die Straße überquerte und mit seinem geborgten Schirm im Regen an Inschs Wagenfenster stand. Er musste sich beherrschen, um nicht zusammenzuzucken, als ihm aus dem Wageninneren der Geruch von nassem Spanielfell entgegenschlug.
»So, so«, meinte der Inspector und deutete mit dem Kopf auf die Phalanx der Kameras. »Sieht aus, als wären wir heute Abend im Fernsehen.« Er strich sich mit der Hand über den kahlen Schädel. »Nur gut, dass ich daran gedacht habe, mir die Haare zu waschen.«
Logan rang sich ein Lächeln ab. Die Narben, die sich kreuz und quer über seinen Bauch zogen, begannen sich unangenehm bemerkbar zu machen und erinnerten ihn an den Schlag in die Magengrube, den er am Abend zuvor kassiert hatte.
»Na schön«, sagte Insch. »Ich bin bevollmächtigt, eine Presseerklärung abzugeben. Aber vorher müssen Sie mir noch verraten, ob es irgendetwas gibt, was ich unbedingt wissen muss, um nicht wie ein kompletter Idiot dazustehen.«
Logan zuckte mit den Achseln. »Soweit wir das beurteilen können, hat die Mutter uns reinen Wein eingeschenkt.«
»Aber?«
»Ich weiß nicht recht. Sie behandelt den Jungen, als wäre er aus Glas. Lässt ihn nicht allein aus dem Haus. Alle seine Spielsachen sind für Kinder, die zwei Jahre jünger sind als er. Ich habe den Eindruck, dass sie ihn mit ihrer übertriebenen Mutterliebe erstickt.«
Insch zog eine Augenbraue hoch, wobei die rosige, haarlose Haut seines Schädels sich in Falten legte. Er schwieg.
»Ich will nicht behaupten, dass er nicht entführt wurde.« Wieder hob Logan die Schultern. »Trotzdem …«
»Schon verstanden«, erwiderte Insch und strich seinen Anzug glatt. In auffallendem Kontrast zu seinem verdreckten, stinkenden Range Rover war er selbst wie aus dem Ei gepellt, ausstaffiert mit seinem besten Anzug und Krawatte. »Aber wenn wir die Sache runterspielen und er dann doch erdrosselt und mit abgeschnittenem Schniedel auftaucht, stecken wir bis über beide Ohren in der Scheiße.«
Logans Handy meldete sich mit ohrenbetäubendem Gedudel und Gefiepe. Es war das Queen-Street-Revier. Sie hatten Duncan Nicholson gefasst.
»Was …?
Weitere Kostenlose Bücher