Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
alles ab, oder sie veranstalteten Rekonstruktionen des Tathergangs oder diskutierten live im Fernsehen über den Fall. Und dann riefen sämtliche Spinner aus dem ganzen Land an und behaupteten, das neue Monster von Mastrick zu sein, oder welchen banalen Spitznamen die Presse dem Täter auch geben mochte – dem Mann, der kleine Jungen entführte, ermordete und verstümmelte, um sich anschließend an den Leichen zu vergehen. Wenn alle Details an die Öffentlichkeit gelangten, konnte man nicht mehr unterscheiden, welche Anrufe authentisch waren und welche von Trittbrettfahrern kamen.
»Also, ich weiß, dass der kleine David Reid erwürgt wurde«, fuhr Miller fort. Das war allerdings allgemein bekannt. »Ich weiß, dass er missbraucht wurde.« Auch das war nichts Neues. »Ich weiß, dass dieses kranke Schwein dem Jungen mit einer Schere den Pimmel abgeschnitten hat.«
Logan setzte sich kerzengerade auf. »Woher zum Teufel wissen Sie …«
»Ich weiß, dass er dem Kind was in den Hintern geschoben hat. Vermutlich hat er selbst keinen hochgekriegt, also musste er sich mit …«
»Von wem wissen Sie das alles?«
Miller brachte wieder seine Nummer mit dem Achselzucken und dem Weinschwenken.
»Wie schon gesagt: Es ist …«
»… Ihr Job«, beendete Logan den Satz für ihn. »Scheint, als hätten Sie meine Hilfe gar nicht nötig.«
»Was ich wissen will, ist, wie es mit den Ermittlungen läuft, Laz. Ich will wissen, was ihr unternehmt, um das Schwein zu schnappen.«
»Unsere Ermittlungen gehen in verschiedene Richtungen.«
»Toter Junge am Sonntag, totes Mädchen am Montag, dazu zwei kleine Jungen entführt. Sie haben’s mit einem Serienkiller zu tun.«
»Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Fälle etwas miteinander zu tun haben.«
Miller lehnte sich zurück, seufzte und schenkte sich noch ein Glas Chardonnay ein. »Okay, Sie trauen mir also immer noch nicht«, sagte der Reporter. »Das kann ich verstehen. Ich will Ihnen also einen Gefallen tun, nur damit Sie wissen, dass ich es gut meine. Dieser Typ, den Sie aus dem Hafen gezogen haben, der Knielose, der hieß George Stephenson. Von seinen Freunden Geordie genannt.«
»Weiter.«
»Er hat für Malk the Knife die Drecksarbeit gemacht. Den Namen schon mal gehört?«
Das hatte Logan allerdings. Malk the Knife, alias Malcolm McLennan. Edinburghs führender Importeur von Waffen, Drogen und litauischen Prostituierten. Vor ungefähr drei Jahren hatte er sich eine halbwegs seriöse Existenz aufgebaut – falls man das über das Immobiliengeschäft sagen konnte. Die Firma McLennan Homes hatte große Flächen am Stadtrand von Edinburgh aufgekauft und sie mit schuhkartonartigen Häuschen überzogen. In jüngster Zeit hatte er seine Fühler nach Aberdeen ausgestreckt und versucht, im hiesigen Immobiliengeschäft Fuß zu fassen, bevor der Markt völlig im Eimer war. Hatte sich mit den Lokalmatadoren angelegt. Nur dass Malk the Knife nicht nach denselben Regeln spielte wie die hiesigen Bauunternehmer. Er kämpfte mit harten Bandagen, und er ging stets aufs Ganze. Und niemand hatte ihm je etwas nachweisen können. Weder die Kripo von Edinburgh noch die von Aberdeen, noch sonst irgendwer.
»Tja«, fuhr Miller fort, »wie’s aussieht, war Geordie in der Stadt, um dafür zu sorgen, dass Malkie die Baugenehmigung für sein neuestes Projekt kriegt. Dreihundert Häuser im Grüngürtel zwischen hier und Kingswells. Die alte Nummer mit dem knisternden Umschlag. Nur dass Geordie das Pech hatte, an einen Beamten zu geraten, der nicht käuflich war.« Er lehnte sich zurück und nickte. »Tja, mich hat das auch ein bisschen überrascht. Hätte nicht geglaubt, dass es noch welche von der Sorte gibt. Wie dem auch sei, der Mann vom Bauamt sagt: ›Kommen Sie mir nicht so!‹, und Geordie gehorcht und kommt ihm anders – nämlich von hinten.« Miller hob die Hände und simulierte einen Stoß. »Direkt vor den 214er nach Westhill. Klatsch!«
Logan zog eine Augenbraue hoch. Er hatte etwas über einen städtischen Angestellten gelesen, der vor einen Bus gelaufen war, aber es hatte nie auch nur das leiseste Anzeichen dafür gegeben, dass es irgendetwas anderes als ein Unfall gewesen sein könnte. Der Unglücksrabe lag seither auf der Intensivstation. Man rechnete nicht damit, dass er Weihnachten noch erleben würde.
Miller zwinkerte Logan zu. »Es kommt noch besser«, sagte er. »Es spricht sich rum, dass Geordie ein kleines Problem mit den Pferdchen hat. Hat bei den hiesigen
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