Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
gibt’s nicht! Wer soll denn außer ihm an seinen Müll rankommen?«
Logan tippte mit dem Finger auf den Stadtplan. Das Papier knisterte leise. »In Rosemount haben sie diese großen Gemeinschaftstonnen, die offen auf der Straße stehen. Da kann jeder seinen Dreck abladen. Wenn der Mörder nicht Chalmers ist, dann gibt’s nur zwei Orte, wo er die Leiche in diesen Müllsack gepackt haben könnte: hier« – er tippte wieder auf den Plan – »oder hier, nachdem er auf der Kippe von Nigg abgeladen wurde. Wenn man eine Leiche auf der Müllkippe verstecken will, lässt man bestimmt nicht ein Bein rausgucken. Was hätte das denn für einen Sinn? Viel leichter wäre es, sie einfach in dem ganzen Müll zu vergraben.« Logan zog die Nadel für Nigg aus dem Stadtplan und tippte sich mit dem roten Plastikkopf an die Schneidezähne. »Also, der Mörder hat die Leiche nicht auf der Kippe abgeladen. Sie wurde mit einem städtischen Müllwagen dorthin transportiert und mit dem ganzen anderen Abfall abgekippt. Sie wurde in den Müllsack gepackt, als der noch vor dem Haus in der Tonne lag.«
Constable Watson schien nicht überzeugt. »Chalmers’ Wohnung ist immer noch die wahrscheinlichste Möglichkeit. Wenn er sie nicht getötet hat, wieso liegt sie dann zusammen mit seinem Müll in einem Plastiksack?«
Logan zuckte die Achseln. Das war genau das Problem. »Warum steckt man etwas in einen Sack?«, fragte er. »Um es besser transportieren zu können. Oder um es zu verstecken. Oder …« Er drehte sich zum Schreibtisch um und begann die Zeugenaussagen zu durchforsten, die das Hausermittlungsteam gesammelt hatte. »Man kurvt doch nicht mit einem toten Mädchen im Auto durch die Gegend und sucht sich eine Mülltonne, in die man es werfen kann«, sagte er, während er die Aussagen der Anwohner von Wallhill Crescent nach Hausnummern sortierte. »Wenn Sie ein Auto haben, bringen Sie die Leiche aus der Stadt raus und verscharren sie irgendwo bei Garlogie oder in der Gegend von New Deer. An einem abgelegenen Ort. Irgendwo, wo sie erst nach vielen, vielen Jahren gefunden wird. Wenn überhaupt.«
»Vielleicht ist er in Panik geraten?
Logan nickte. »Genau. Wenn Sie in Panik geraten, sehen Sie nur noch zu, dass Sie die Leiche bei der nächsten Gelegenheit loswerden. Aber auch dann fahren Sie nicht einfach in der Gegend rum und suchen sich eine Mülltonne. Die Tatsache, dass sie nur mit Klebeband umwickelt war, ist auch merkwürdig. Ein totes Mädchen, nackt, nur mit braunem Paketklebeband zusammengebunden? Damit werden Sie nicht weit kommen … Wer auch immer die Leiche in dieser Tonne abgeladen hat, muss näher an ihr als an allen anderen Tonnen in der Straße wohnen.«
Er teilte die sortierten Zeugenaussagen in zwei Stapel auf, einen für Nummer siebzehn und je zwei Häuser links und rechts davon, und einen für die weiter entfernten. Es blieben immer noch dreißig Wohnungen übrig.
»Können Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte er, während er die Namen von den Zeugenaussagen auf einem leeren Blatt notierte. »Gehen Sie doch mit diesem Blatt runter in die Karteistelle. Ich will wissen, ob irgendeiner von diesen Leuten wegen irgendwas vorbestraft ist. Verwarnungen, Festnahmen, Verkehrsdelikte, was auch immer.«
Constable Watson beschied ihm, dass er nur seine und ihre Zeit vergeude. Norman Chalmers sei definitiv schuldig. Dennoch zog sie mit der Namensliste los und versprach, ihm bald Bescheid zu sagen.
Nachdem sie gegangen war, holte Logan sich einen Schokoriegel und einen Becher Instant-Kaffee aus dem Automaten und verleibte sich beides ein, während er die Aussagen noch einmal durchlas. Irgendjemand hatte hier gelogen. Irgendjemand wusste, wer das kleine Mädchen war. Und dieser Jemand hatte sie auch getötet, hatte ihre Leiche zu zerteilen versucht und sie anschließend in den Müll geworfen.
Die Frage war nur: Wer war es?
Über dreitausend Personen wurden jedes Jahr in Nordost-Schottland als vermisst gemeldet. Dreitausend Vermisste alle zwölf Monate, die irgendjemand gemeldet hatte. Und hier hatten sie nun ein vierjähriges Mädchen, das laut Obduktionsbericht seit mindestens zwei Tagen vermisst werden musste, und noch immer war niemand zur Polizei gegangen, um zu fragen, was sie in dem Fall zu unternehmen gedachte. Warum war sie nicht als vermisst gemeldet worden? Vielleicht, weil niemand ihr Verschwinden bemerkt hatte?
Aus seiner Hosentasche kam das vertraute misstönende Gedudel. Logan fluchte, zog das Handy heraus
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