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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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es Ihr Schwiegersohn war, der vorgestern eine Leiche im Netz hatte.«
    Moreau nickte stumm.
    »Jaja«, sagte er nach einer längeren Pause, »ich weiß, natürlich.« Er nahm einen weiteren Schluck Pastis, zog an einer Zigarette und sagte: »Ihr Besuch hier soll ja nicht umsonst sein, wo Sie schon extra aus Paris gekommen sind, nicht wahr?«
    Kirchner überging die falsche Zuordnung, er ließ den alten Mann einfach reden.
    »Also, meine Tochter rief mich gestern sehr früh an, es war noch in der Nacht eigentlich, zum Glück nehme ich jetzt mein Telefon immer mit ans Bett. Die jungen Leute haben mir so einen Apparat mit großen Tasten geschenkt, ein schönes Ding, wissen Sie? Also, es läutete, und Nadine – das ist meine Tochter – war dran, und sie sagte: ›Es ist ein furchtbarer Unfall passiert, Papa, Guillaume …‹ – also das ist mein Schwiegersohn – ›Guillaume hat draußen einen Toten im Netz gehabt‹, hat sie gesagt, ›er ist gerade auf dem Rückweg, die Polizei ist schon im Hafen, es ist alles so schrecklich, Papa‹, hat sie gesagt, und das war natürlich auch für mich erst einmal ein großer Schreck.«
    Kirchner schwieg. Er gab Moreau die Zeit und den Raum, die er brauchte, er wollte den Fluss seiner Rede nicht stören.
    »Wissen Sie, ich bin sechzig Jahre lang zur See gefahren«, sagte Moreau, »mein eigener Großvater hat mich als Kind schon mitgenommen, da sind da draußen die Fische noch in großen Schwärmen gezogen, man musste nur sein Netz reinhalten und konnte nach einer Stunde voll bis unter die Reling wieder nach Hause fahren. Aber in sechzig Jahren ist mir so etwas nie passiert, und ich habe auch nie eine solche Geschichte gehört.«
    Kirchner horchte auf. Es war das erste Mal, dass Moreau einen Kommentar abgab zu Dingen, die er erzählte. Es klang fast so, als glaubte er die Geschichte vom Toten im Netz nicht.
    »Einmal ist immer das erste Mal«, sagte Kirchner, um zu testen, ob der Alte widersprechen würde.
    »Das ist schon richtig, Monsieur«, sagte Moreau, »und Gottes Wege sind dunkel, aber wenn Sie ein Fischer wären wie ich, wenn Sie die Gewalt der See kennen würden, wenn eine Baumkurre Sie schon ein paarmal am Kopf getroffen hätte und wenn Ihnen schon einmal Netze in die Hände geschnitten hätten, dann würden Sie verstehen, was ich meine.«
    »Was meinen Sie?«
    »Ich meine, dass das Schleppnetz eines Fischkutters aus einem Toten, der im Meer treibt, ziemlich wahrscheinlich Hackfleisch machen würde, um das so brutal zu sagen. Der käme jedenfalls nicht heil in einem Stück an Deck. Also, das wäre jedenfalls ein Wunder.«
    Kirchner war sich nicht sicher, ob Moreau die Tragweite seiner Worte verstand. Wenn es stimmte, was er sagte, musste in jener Nacht etwas vorgefallen sein, das seine Familie belastete, ein Verbrechen womöglich – ein Verbrechen, in das Moreaus eigener Schwiegersohn vielleicht verstrickt war.
    »Aber Monsieur Moreau, das würde ja bedeuten …«
    Moreau unterbrach ihn: »Ja, ganz genau, das würde bedeuten, dass in jener Nacht etwas passiert ist, was wir nicht wissen und was ich, ehrlich gesagt, auch gar nicht so genau wissen will.« Er griff wieder zur Flasche und goss sich Pastis nach. »Sie auch noch?«
    Kirchner schüttelte den Kopf und hielt seine flache Hand über das Glas.
    Moreau erzählte dann, wie unglücklich er in seinem neuen Haus sei, abgeschnitten von seinen Freunden, die in Gujan-Mestras weiterhin in ihren Hütten arbeiteten und lebten. Nie im Leben hätte er daran gedacht, nach siebzig Jahren dort wegzuziehen.
    »Einen alten Baum verpflanzt man nicht«, sagte er, »aber es sind ja alle ganz verrückt geworden, als das Gerede über das Nautilus -Projekt begann.«
    Die meisten Bewohner von Gujan-Mestras arbeiteten in der Austernzucht, erzählte Moreau, sie hatten ihre Bänke draußen im Becken, aber es lebten auch Fischer dort, wie Moreau einer war. Die längste Zeit waren sie eine verschworene Gemeinschaft, sie nannten sich stolz die »Wirte des Meeres«.
    »Vor vielleicht fünf Jahren«, sagte Moreau, »tauchte zum ersten Mal so ein Mensch mit polierten Fingernägeln bei uns auf. Er kam in den Gemeinderat – wissen Sie, ich sitze da für die Sozialisten seit 1972 drin –, und er hatte dicke Ordner dabei, voller Pläne und Skizzen, er hat Dias an die Wand geworfen und uns gesagt – das werd ich nie vergessen –, dass heute die Zukunft beginne. So hat das angefangen mit Nautilus , und ich verfluche den Tag.«
    Moreau schlug die

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