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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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Alteingesessenen in Gujan-Mestras, als Gemeinderat, war ich für die Nautilus -Leute eine wichtige Figur. Die haben sich gedacht: ›Wenn der alte Moreau verkauft, dann ist das ein Signal‹, so haben die sich das vorgestellt. Wenn ich verkaufe, dachten sie, dann würden es bald auch alle anderen tun.«
    Kirchner teilte Moreaus Einschätzung. Es klang logisch, dass die Nautilus -Entwickler eine Lokalgröße wie ihn auf ihre Seite ziehen wollten.
    »Sind Sie denn selbst zu den Festlichkeiten eingeladen worden?«, fragte Kirchner.
    Moreau lachte höhnisch. »Was glauben Sie denn!«, rief er aus, bevor er sich schwerfällig erhob, ins Innere seines neuen Hauses wankte und mit einer Plastiktüte voller Briefe und Einladungen zurückkam. Er schüttete ihren Inhalt auf den Tisch und sagte: »Hier! Austernfeste, Abendessen, Empfänge, Cocktails – ich hätte in den vergangenen Jahren an zwei Abenden pro Woche auswärts essen und trinken können. Die veranstalten einen Wirbel, dagegen ist ein Sturm aus Südwest nur ein Lüftchen.«
    Kirchner stöberte wahllos in dem Haufen herum. Er nahm kartonierte Einladungen in die Hand: »Geben wir uns die Ehre, Monsieur Arthur Moreau zu einem Umtrunk zu bitten …«, er las Briefe kurz an, die dem Alten »für sein Engagement für die Zukunft« dankten, er fand Karten, auf denen Lacombe – unter dem offiziellen Siegel seines Ministeriums – zu Abendessen und Vorträgen einlud.
    »Ich bin zu keiner einzigen dieser Sausen hingegangen, zu keiner einzigen. Musste ich aber auch nicht«, fügte er traurig hinzu, »meine Tochter hat mir ja hinterher alles haarklein erzählt. Sie war immer da, sie hat nichts ausgelassen.«
    »Hat sie auch mal einen Abend in Le Canon erwähnt? Ich meine, einen besonderen Abend?«
    Moreau sah ihm gerade und leer in die Augen. »Sie war nicht dabei«, sagte er, als wüsste er genau, auf welchen Abend Kirchner anspielte, »aber was weiß ich. Sie müssen Guillaume fragen, der kann Ihnen mehr erzählen, er ist ja letztlich ein guter Junge. Also, er war ziemlich außer sich seitdem, und das hat der Ehe meiner Tochter auch nicht gutgetan, glaube ich. Und dann kam ja auch noch die Sache mit Evelyne dazu …«
    »Evelyne?«, fragte Kirchner.
    »Evelyne ist Guillaumes Schwester. Sie arbeitet in einem Friseursalon in Andernos, das arme Ding.«

VI.
    E s ging schon auf Mittag zu, als Kirchner wieder vor Moreaus Haus im Auto saß. Er hatte seine rot eingebundene König & Ebhardt -Kladde auf den Knien und schrieb aus der Erinnerung alles nieder, was er eben gehört hatte. Um seine Gesprächspartner, vor allem, wenn sie einfache Leute waren, nicht zu verstören, hatte er es sich angewöhnt, während des Redens keine Notizen zu machen. Er stellte sein Hirn und alle seine Sinne auf Empfang, und erst anschließend schrieb er auf, was für die Geschichte von Bedeutung war oder vielleicht von Bedeutung werden würde. Immer funktionierte diese Technik nicht. Manche Leute waren auch verwirrt, wenn sie sahen, dass Kirchner nichts notierte. Sie meinten, nichts Interessantes zu erzählen, und wenn Kirchner diese Gedanken erriet, schlug er schnell seine Bücher auf und fing an zu schreiben, um die Leute zu beruhigen.
    Seine Notizbücher glichen Protokollen, Stenogrammen seiner Gedanken, Puzzlespielen aus Zitaten und Beobachtungen, und dieser Haupttext seiner Recherchen stand stets auf den rechten Seiten der aufgeschlagenen Kladden, während er die linken Seiten frei ließ für Kommentare und Beobachtungen, die ihm erst später einfielen. Immer versuchte er, sein Material strikt zu trennen: Rechts stand, was ihm die Leute gesagt hatten, links notierte er eigene Kommentare, Ortsbeschreibungen, Stimmungen. Er fuhr gut mit dieser Methode, kaum je musste er sich beim Schreiben später über Wissenslücken ärgern, weil er selbst kleinste Details notierte, Uhrzeiten und exakte Ortsangaben sowieso, aber auch die Farben von Blumen, Haaren und Augen, die Stellung der Möbel in Räumen, die Bilder an der Wand, die Muster der Tapeten, manchmal fertigte er sogar kleine Zeichnungen an von Landschaften oder Häusern, um seinem Gedächtnis später aufzuhelfen.
    Nun stand eine wichtige Begegnung bevor. Moreau hatte Evelyne Dufaut für ihn angerufen, die junge Schwester seines Schwiegersohns. Sie war an diesem Vormittag, wie immer außer montags, bei der Arbeit im Salon Merveille in Andernos und hatte eingewilligt, sich in ihrer Mittagspause mit dem fremden Gast zu treffen.
    Moreau hatte sich, obwohl

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