Die dunklen Wasser von Arcachon
sagte Kirchner, »wie haben Sie denn noch ein so großes Grundstück gefunden?«
Moreau winkte ab, müde. »Ach, ich hab gar nichts gefunden. Ich war eigentlich sehr glücklich in meinem Häuschen in Gujan-Mestras, das hat mehr als gereicht für mich, und eigentlich hätte ja die ganze Familie dort wohnen können. Wissen Sie, meine Frau ist ja schon tot seit achtzehn Jahren, Gott hab sie selig, mein Sohn und meine Tochter sind auch lange aus dem Haus, also ich hätte da gut wohnen bleiben können, aber was soll ich machen? War ein geschenkter Gaul, wie man so sagt, die jungen Leute wollten mir was Gutes tun. Wie hätte ich da Nein sagen können?!«
Mit diesen Worten erhob sich Moreau, ging träge ins Innere des Hauses, durch ein nur spärlich möbliertes Wohnzimmer, in dem Pizzaschachteln mit dem grün-weiß-rot unterlegten Aufdruck La Spezia herumlagen. In den Ecken standen Fünf-Liter-Kanister billigen Landweins, die größten Einrichtungsstücke des Salons waren ein riesiger neuer Flachbildfernseher und ein augenscheinlich bequemer Lehnsessel davor.
Kirchner hatte den Kopf gedreht, um sich das Zimmer anzuschauen. Das Zimmer erzählte vom öden Leben des Arthur Moreau, vom Gleichlauf der Tage, wenn die aktive Lebenszeit zu Ende geht. Moreau gehörte zu jener Generation Männer, die im Leben nur die Familie und die Arbeit kannten und nichts mehr mit sich anzufangen wussten, wenn der sogenannte Ruhestand begonnen hatte.
Der alte Fischer klapperte im Haus herum und kam mit einer Flasche Pastis Berger unter dem Arm zurück, in den Händen eine Karaffe Eiswasser und zwei Gläser. Er schenkte Kirchner ungefragt ein, bediente auch sich, schob dem Gast das Glas hin und prostete ihm zu: »Santé.«
Moreau war offenkundig froh über jeden Besuch, er brauchte einen Menschen zum Zuhören, und nichts kam Kirchner besser zupass. Der Reporter wusste, dass er hier nur ein paar Knöpfe drücken müsste, und die Geschichten würden sprudeln. Er schätzte Moreau ungefähr auf das Alter seines eigenen Vaters, Mitte siebzig.
»Wann haben Sie denn das Fischen aufgegeben?«
Moreau wurde über diese Frage noch trauriger und antwortete: »Ach, das ist noch gar nicht lange her, vier, fünf Jahre vielleicht …« Beim weiteren Reden schien es Kirchner vor allem so, als würde der Alte von seiner Tochter und dem Schwiegersohn arg ausgenutzt.
Moreau erzählte seine Geschichten langsam und naiv, wie erst das passierte und dann jenes, er kommentierte nichts, er gab den jungen Leuten offenbar stets von vorneherein recht, aber für Kirchner reimte sich seine Geschichte so zusammen: Die Tochter und ihr Mann hatten den Alten dazu überredet, seinen über die Jahrzehnte stattlich angewachsenen Grundbesitz in Gujan-Mestras für viel Geld zu verkaufen, es ging offensichtlich um Millionenwerte. Sie hatten ihn anschließend dazu gebracht, kurz vor seiner Rente noch einen nagelneuen Fischkutter anzuschaffen, vollgestopft mit neuester Technik, auf dem nun der Schwiegersohn als eingeheirateter Kapitän den Atlantik befuhr. Und das Haus mit Garten hatten sie den Alten auch noch bauen lassen, für seinen Lebensabend, wie sie beteuerten, aber bei Licht betrachtet doch eigentlich für sich und ihre Zukunft, wenn der Alte eines Tages das Zeitliche segnen würde.
Nun wohnte Moreau in diesem neuen Haus wie zur Untermiete, er saß auf der Terrasse wie auf Besuch, ein entwurzelter Mensch, aus dem die Lebensfreude täglich ein Stück weiter wich.
Kirchner behielt diese Interpretationen für sich, es stand ihm weder zu, noch wäre es hilfreich gewesen, den Alten auf den Gedanken zu bringen, dass er von seiner Tochter und ihrem Mann womöglich schamlos ausgenutzt wurde.
Moreau schenkte sich und dem Gast einen zweiten strammen Pastis ein und fragte: »Sie haben nicht zufällig Zigaretten, Monsieur? Meine Tochter verbietet es mir, sie ist so um mich besorgt, aber bei einem Gläschen, wissen Sie …«
Dann rauchten sie eine ganze Weile schweigend Kirchners blaue Rothmans .
Am Himmel waren herrliche Seevögel zu sehen, aus dem nahen sumpfigen Naturreservat, in dem die ersten gewaltigen Vogelschwärme schon Rast machten, auf ihrem Zug in den Süden.
»Ist schon auch schön hier«, brummte Moreau.
Kirchner ging in Gedanken durch, was er den alten Mann fragen könnte. Er entschied sich für den Weg geradeaus: »Monsieur Moreau, ich hatte es Ihnen ja am Telefon schon gesagt: Ich arbeite als Reporter für Le Monde . Und ich bin hier, weil ich gehört habe, dass
Weitere Kostenlose Bücher