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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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er sonst zu allem so bereitwillig Auskunft gegeben hatte, zu ihrer Geschichte nicht weiter äußern wollen. Hinter dieser Weigerung spürte Kirchner ein dunkles Geheimnis, das seine Neugierde anstachelte.
    Aus dem Wenigen, das Moreau zu diesem Thema gesagt hatte, ließ sich schließen, dass sich seine Tochter und ihr Mann im Laufe der Zeit mit dem Minister Lacombe und seinem Nautilus -Kreis angefreundet hatten, dass man bald auch privat miteinander verkehrte, abseits der öffentlichen Veranstaltungen, und wenn Kirchner die Zeichen, die Moreau aussandte, richtig verstanden hatte, dann wollte ihm der Alte eigentlich erzählen, dass Evelyne ebenjene Friseurin war, auf die Lacombe ein Auge geworfen hatte, sehr zum Unmut ihres Bruders, der gegen die Liebschaft aber nicht viel ausrichten konnte.
    Um halb eins würde Kirchner Evelyne treffen, so war es verabredet, und er war sich sicher, dass sie viel Licht ins Dunkel dieser Affäre würde bringen können.
    Kirchner befuhr die kleine Landstraße D3 Richtung Norden, Richtung Andernos, er durchquerte die Dörfchen Lanton, Le Renet und Taussad. Zu seiner Linken lag der schöne Meerbusen in hellem, milchigem Licht, hohe, glasige Wolken verhinderten seit dem Morgen, dass die Sonne durchbrach, die Landschaft lag wie in einem feinen Nebel. Es waren Vögel am Himmel, wie immer hier, Graureiher, Kraniche, und manchmal flatterten Wildenten aufgeregt über Scheunen am Straßenrand auf.
    Kirchner hatte Hunger. Der Pastis hatte seinen Appetit angeregt. Er rauchte.
    Er sollte Evelyne in einem Café am Marktplatz von Andernos treffen. Der Boulevard du Général de Gaulle mündete in den breiten Dorfkern. Kirchner fand alles so vor, wie sie es beschrieben hatte, und er entdeckte auch die Bar des Sports neben dem Rathaus, von dessen Fassade eine müde blau-weiß-rote Fahne wehte über den in Sandstein geschriebenen Prinzipien der stolzen Republik: Liberté – Egalité – Fraternité. Die Uhr des Rathauses war außer Betrieb, sie zeigte eine falsche Zeit von kurz nach sieben Uhr.
    Kirchner parkte den Landrover, ging ein paar Schritte um den Platz, um seine Atmosphäre in sich aufzunehmen und vielleicht ein Gesprächsthema für das Einstiegsgeplauder zu finden.
    Dann trat er ein in die Bar und rief dem Kellner hinter dem Tresen ein »Bonjour« zu, das dieser, während er klirrend dampfende Tassen und Gläser aus einem Geschirrspüler zog, fröhlich erwiderte.
    Kirchner bestellte einen Kaffee an der Bar und sah sich nach seinem Rendezvous um.
    Es war noch knapp zu früh für den großen Betrieb der Mittagszeit, die Kellner deckten noch die Tische ein, und der Chef persönlich schrieb mit schöner Hand die Tagesgerichte auf eine schwarze Tafel, deren Rand mit einer bunten Orangina -Reklame bedruckt war. Nach und nach pinselte er die Plats du jour untereinander: sautiertes Kalbfleisch mit Pfifferlingen, Lachsforelle mit Spinatquiche, Rindskotelett in Rotwein. Kirchner stellte sich auf ein behagliches, mediokres Mittagessen ein.
    »Klingt gut«, sagte er, an den Besitzer gerichtet, der sein Werk gerade vollendet hatte.
    »Und ob das gut klingt«, antwortete der Chef stolz, »und schmeckt noch besser.«
    Kirchner sah sich amüsiert um, er hatte sich eine Equipe am Stock geangelt und blätterte ziellos, Frankreichs Fußballer hatten nun auch noch gegen Südafrika verloren. Vor dem Tabak-Kiosk am Ende der Theke des Cafés, zugestellt mit plexigläsernen Regalen, in deren Fächern Lotto- und Bingoscheine steckten, saßen alte Männer und füllten ihre Wettformulare aus. Die Zigarettenverkäuferin war eine Mittfünfzigerin mit der Ausstrahlung einer Puffmutter, die ihre hochtoupierten Haare in einem schreienden Rostton gefärbt hatte und billige Ringe an jedem Finger trug.
    »Wenn du gewinnst, Jean-Charles«, rief sie gerade einem vertrockneten, alten Männchen an einem der Tische zu, »dann musst du mich aber auch auf die Seychellen mitnehmen.«
    Die Männer ringsum lachten, Kirchner grinste.
    Der Angerufene antwortete: »Aber nur, wenn du deine Töchter mitbringst, Chérie!«
    Kirchner hielt Ausschau nach Evelyne. Die Esstische des Lokals waren noch weitgehend leer, nur zur Terrasse hin saß rechts ein Pärchen und stritt mit gedämpften Stimmen, zwei Tische daneben hatten sich drei beleibte Männer in dreiteiligen Anzügen eingerichtet, die augenscheinlich jeden Mittag aus einem Amt oder vielleicht dem Rathaus hierherkamen, typische Honoratioren, wie man sie in der Provinz überall treffen

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