Die dunklen Wasser von Arcachon
Augen nieder.
Es wirkte, als hätte er Kirchners Anwesenheit fast vergessen, als spräche er sich mit sich selbst aus.
»Es gab keinen damals«, sagte Moreau, »der dafür gewesen wäre. Alle haben gesagt: ›Die wollen unser Becken kaputt machen, die wollen uns ruinieren‹, aber die haben ja nie mehr lockergelassen. Immer wieder sind sie gekommen, immer höher haben sie ihr Projekt diskutieren lassen, im Departement, in der Region. Der Präfekt in Bordeaux war irgendwann dafür, und diese ganzen Pariser Minister fanden es großartig, aber vor allem haben sie angefangen, mit ihrem Geld um sich zu werfen, das machen sie ja immer so, und von da an ging’s bergab mit uns.«
Kirchner hielt ständig Blickkontakt mit dem Alten, er konzentrierte sich auf jedes seiner Worte, nickte oder schüttelte den Kopf, kommentierte die Rede körpersprachlich. Auch das gehörte zur Reportertechnik, das Gegenüber musste sich immer sicher sein, die volle Aufmerksamkeit zu haben. Wenn Moreau rauchen wollte, rauchte auch er, wenn Moreau trank, nippte auch Kirchner an seinem leeren Glas, es ging darum, Gemeinschaft herzustellen. Er musste, um an den Stoff für seine Geschichten zu kommen, möglichst schnell vergessen machen, dass er eigentlich ein Wildfremder war. Er musste zeigen, dass ihm selbst die Geschichten, die er hörte, zum Anliegen wurden, dass er sich ernsthaft um sie kümmern würde, dass das Gehörte bei ihm gut aufgehoben war.
Moreau erzählte, wie nach und nach alle Besitzer von Häusern, Hütten oder Grundstücken in Gujan-Mestras Besuch von Leuten mit polierten Fingernägeln bekamen.
»Das sind alles so Schwiegersohn-Typen«, sagte er, »die brachten Blumen mit für die Dame des Hauses, tranken keinen Schluck, redeten aber ununterbrochen von den Möglichkeiten, von der Zukunft, von den großen Schecks.«
Bald verkauften die ersten Fischer und Austernzüchter, die keine Erben hatten, ihren Besitz an die Nautilus -Entwickler. Bald wurden selbst alte Weggefährten von Moreau weich und schlugen ein mit den Rechtsanwälten von weit her.
»Sie haben alle eingeseift«, sagte Moreau, »und leider gilt das auch für meine Tochter und ihren Mann.«
Nadine, Moreaus Tochter, die jetzt eine verheiratete Dufaut war, war zu den öffentlichen Versammlungen der Nautilus -Leute gegangen und hatte sich bald für die große Sache begeistert, die ein mondäneres Leben versprach, als scharfkantige Muscheln in Holzkisten zu schichten oder die Bäuche von Makrelen aufzuschlitzen. In endlosen Diskussionen hatte sie sich mit ihrem Vater gestritten, es war ein Streit zwischen Jugend und Alter gewesen, der klassische Konflikt. Auch ihr Mann Guillaume, der eigentlich immer zu den Traditionalisten gehört hatte, ein junger Fischer, der sich auf dem Wasser draußen wohler fühlte als an Land, ließ sich überzeugen, auch vom sagenhaften Geldgewinn, der für alle in Aussicht stand und den er mit seiner Hände Arbeit an Bord eines Kutters niemals hätte erzielen können.
Die Investoren, erzählte Moreau, veranstalteten Stadtfeste in Arcachon und in Gujan-Mestras, sie traten an allen Ecken als Sponsoren auf, sie luden zu großen Abendessen ein, und bei einem dieser Diners machten Nadine und Guillaume die Bekanntschaft des Finanzministers Lacombe, der ein Mann vorzüglicher Manieren und ein großer Witzeerzähler war.
Es war anlässlich eines Austernfests, als Moreaus Tochter und der Schwiegersohn am Tisch des Ministers platziert waren, sie saßen an einem von zwölf prächtig gedeckten Zwölfertischen, aufgebaut im großen Festsaal des Rathauses von Arcachon. Der Minister erzählte glucksend seine Witze und erkundigte sich bald bei seinen Tischnachbarn, wer sie seien.
»Er hat sie eingewickelt, der Herr Minister«, sagte Moreau.
Und er war gut darin. Denn als sich Nadine vorgestellt hatte, so erzählte sie es ihrem Vater hinterher, hatte Lacombe zu ihrem Entzücken gesagt: »Die Tochter von Arthur Moreau? Welche Ehre! Sagen Sie Ihrem Vater, dass ich schon viel von ihm gehört habe. Er ist ein großer Sohn unserer sozialistischen Familie, sagen Sie ihm das.«
Kirchner schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass er Moreaus Angewidertsein teilte.
»Wenn Sie mich fragen«, sagte der Alte, »hatte er selbst diesen Auftritt vorher geplant, der eitle Lump.«
»Sie meinen, Lacombe wollte sich über ihre Tochter an Sie heranmachen?«
»Genau das meine ich. Wissen Sie, ich will mich nicht größer machen, als ich bin. Aber als einer der ganz
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