Die dunklen Wasser von Arcachon
Nutzungsplan für die Region arbeite, in der das Becken und seine Bebauung miteingeschlossen seien. Es sei möglich, dass in naher Zukunft viele der Austernbaracken – sie sagte wirklich und mit Abscheu in der Stimme »Baracken«, als ginge es um den Schandfleck eines Flüchtlingslagers – endlich abgerissen würden, um Platz zu schaffen für neue Nutzungen, aber darüber sei noch nichts mit Gewissheit zu sagen.
»Ist nicht ein großer Hotelkomplex irgendwo geplant?«, fragte Kirchner. »Ich meine, darüber gelesen zu haben.«
»Oh, Sie meinen sicher das Projekt Nautilus «, sagte die Blonde. »Ehrlich gesagt, ich glaube nicht daran, obwohl sich ja sogar Paris dafür starkmacht. Aber man müsste ja halb Gujan-Mestras dafür abreißen, und wie ich meine Leute hier im Becken kenne, wird das nicht geschehen.«
Nautilus. Kirchner erinnerte sich, davon wirklich gelesen zu haben.
***
Zurück im Auto suchte Kirchner sich auf dem Laptop ein paar grobe Informationen zusammen. Es war nicht viel Aufregendes darüber erschienen, aber die Größe des Projekts war beeindruckend. Kirchner steckte sich eine Rothmans an und wühlte sich durchs Internet.
Eine Gruppe von Investoren hatte sich zusammengefunden, um die Stadt Arcachon Richtung Osten, nach Gujan-Mestras hin, zu entwickeln, wie es hieß, mitten hinein ins Herz der Austernzucht. Dafür sollten das gesamte Hafengelände von Arcachon und dazu große Teile der Küstenbebauung einem Luxus-Resort von gigantischen Ausmaßen weichen.
Eine Hotelanlage mit tausendzweihundert Betten war geplant, verteilt auf kleine Luxus-Villen in sogenannten Themendörfern, die im balinesischen oder toskanischen Stil gehalten sein sollten. Kritiker nannten es ein »Disneyland à l’Aquitaine«. Ein Neun-Loch-Golfplatz war vorgesehen, dazu Europas höchste Anlage für Bungee-Jumping, Rasentennisplätze, eine Nautilus -Welt am Strand mit allen vorstellbaren Wasserspielen und ein neuer Jachthafen mit vierhundert Liegeplätzen. Es ging um Investitionssummen im Bereich von einer Milliarde Euro.
Kirchner pfiff tonlos Luft durch die Lippen.
Sind schon Leute für weniger Geld gestorben , dachte er.
Er fand auf den Webseiten der Lokalpresse alte Archivfotos von Investorentreffen, darunter einige aus dem Restaurant Chez Janine , und er war nicht mehr überrascht darüber, auf den Bildern auch immer wieder Minister aus Paris auszumachen. Der fette Verteidigungsminister Fleurice war häufig zu sehen, der selbst aus Arcachon stammte und sich in den Aufsichtsrat des Nautilus -Konsortiums hatte wählen lassen. Kirchner erkannte den grobporigen Sportminister Creuzet, den vornehmen Wirtschaftsstaatssekretär Guillemin und die schöne Menschenrechtsbeauftragte Trousseau – und immer wieder sah er Fotos von Lacombe, dem Finanzminister, der ein gebürtiger Savoyer war, aber sein Herz offenkundig an Arcachon und Nautilus verloren hatte.
War ihm sein Engagement für die Totalrenovierung des Beckens zum Verhängnis geworden? Kirchner ließ den Gedanken sacken.
Er schrieb eine E-Mail an Berthe Fichier, die Chefarchivarin von Le Monde , und bat sie, ihm alle verfügbaren Dossiers über Nautilus schnellstmöglich zu schicken.
***
Um elf klingelte Kirchner an der Tür von Arthur Moreau.
Der alte Fischer wohnte in einem großen Neubau in Biganos, dessen Fassaden noch nicht verputzt waren, jeder einzelne Rigips-Stein war grob zu sehen. Das Haus stand in einem ziemlich großen, leidlich eingezäunten Grundstück, der Garten war erst vor Kurzem angelegt worden, Büsche und Bäume waren noch Setzlinge, der Rasen stand lückenhaft und hellgrün, so als hätte man ihn erst jüngst gesät.
Moreau füllte die Tür aus, als er öffnete, aber nur bis auf Kirchners Brusthöhe. Er war ein kleiner, bemerkenswert breiter Mann mit Lederweste und Hosen aus Drillich, an den Füßen trug er karierte Hausschuhe Marke Charentaises .
Das Haus und der Mann passen nicht zusammen , dachte Kirchner, als er ihn sah.
»Bonjour, Monsieur«, sagte Moreau von unten herauf mit freundlicher Stimme.
Er sah Kirchner aus gutmütigen Augen an, trat zur Seite und streckte die Hand ins Innere des Hauses aus zum Zeichen, dass der Gast eintreten möge.
»Bonjour«, antwortete Kirchner.
Er schüttelte die harte, rissige Hand des Fischers, und bald saßen beide hinter dem Haus auf einer unverfugten Steinterrasse wie auf einem Servierteller, weil noch keine Pflanze die Sicht von draußen in den Garten verstellte.
»Was für ein schöner Besitz«,
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