Die Durchschnittsfalle (German Edition)
Sie daran zu erinnern, dass die Geschichte uns gelehrt hat, dass solche Ideen und Ansätze sogar politisches Programm werden können. Jene zu definieren, die den Idealfall darstellen … und jene zu identifizieren, die niemand braucht und haben will, um sie letztendlich um jeden (noch so unglaublich hohen und verabscheuungswürdigen) Preis loszuwerden … Es wird Sie vielleicht überraschen, dass es gerade auch eine biologische / genetische Argumentation ist, durch die sich klar zeigen lässt, wie irrsinnig und wahnsinnig die nationalsozialistische Idee war, den genetischen Idealfall zu definieren mit dem Ziel, ihn dadurch zum Durchschnitt zu machen, indem am Ende alle so sein sollten, weil „die anderen“ verschwunden (worden) sind. Das angestrebte Gleiche verbunden mit dem Bekämpfen des Andersseins würde, wenn es wirklich gelänge, automatisch zum Durchschnitt im Sinn von vielen Gleichen führen.
Ich habe in diesem Buch schon einmal erläutert, dass es genetisch keine Rassen des Menschen gibt. Genetisch gesehen gibt es auch keinen Durchschnitt. Genetisch gesehen gibt es eigentlich nur Individualität (selbst bei eineiigen Zwillingen, die sich epigenetisch unterscheiden – ich erkläre das noch im Detail an späterer Stelle). Genetisch gesehen können zwei weiße Menschen weniger verwandt sein als ein weißer und ein schwarzer. Genetisch gesehen gibt es daher so viele Rassen, wie es Menschen auf der Welt gibt. Jeder ist individuell! Daher ist die „genetische“ Argumentation von Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ Unsinn. Eine biologische Begründung dafür, dass türkischstämmige Menschen generell weniger klug sind als etwa Deutsche, gibt es genauso wenig wie ein Juden-Gen. Die Annahme also, dass ganze Volksgruppen aus genetischen Gründen dümmer sind als andere, ist einfach schlichtweg falsch. Natürlich hat Intelligenz auch eine genetische Komponente. Sogar eine hohe. 50 Prozent, so wird heute angenommen, ist daran genetisch. Aber das heißt einerseits, dass der Rest durch Umwelteinflüsse entscheidend mitgeprägt wird. Der Mensch ist auch gerade hier nicht auf seine Gene reduzierbar. Und außerdem ist die genetische Varianz innerhalb einer Gruppe weit größer als die Varianz zwischen den Gruppen. Im Klartext bedeutet das, dass es sehr kluge und auch weniger intelligente gibt – in allen Volksgruppen – Türken, Deutsche, Österreicher. Und dass das nur sehr bedingt überhaupt etwas mit Genen zu tun hat – die Umwelt besitzt enorme Macht.
Niemand weiß, wer oder was gebraucht werden wird
Ich möchte jetzt aber in diesem Zusammenhang noch einen Schritt weiter gehen und klarstellen, dass Definitionen wie „gut“ oder „schlecht“, „brauchbar“ oder „nicht brauchbar“ beziehungsweise „notwendig“ und „unnötig“ nicht einmal die gegenwärtige Millisekunde des Übergangs zwischen Zukunft und Vergangenheit überdauern müssen. Ich möchte an dieser Stelle nicht so verstanden werden, dass ich Traditionen grundsätzlich ablehne. Bewährtes zu bewahren kann durchaus auch sinnvoll sein. Aber was letztendlich „gut“ oder „schlecht“ ist, entscheidet die Zukunft, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar vor unserer Tür steht, eine Frage in der Hand haltend, von der wir uns nicht haben vorstellen können, dass sie jemals auf uns hätte zukommen können.
Sofort wird aber immer auch damit argumentiert, dass die Erhaltung hoher Varianz und Individualität sehr teuer ist. Und wenn man den einen oder anderen heute nicht braucht, warum soll man ihn denn in Zukunft brauchen? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kosten, die anfallen, um etwas jetzt zu erhalten, was ich heute offensichtlich nicht benötige, irgendwann wieder reinkommen, weil es später, in Zukunft einmal, von Nutzen sein könnte? Rausgeschmissenes Geld? Mitnichten!
Ich habe ja schon gesagt, dass ich in diesem Buch biologische Beispiele für meine Argumentation verwenden werde, auch wenn ich sie, zugegeben, etwas adaptieren muss, um verständlich machen zu können, was ich meine. Biston betularia lautet die wissenschaftliche Bezeichnung für den Birkenspanner, ein Schmetterling aus der Familie der Geometridae. Der Birkenspanner heißt Birkenspanner, weil seine Flügel von weißer Grundfärbung mit dunklen Sprenkeln sind und er dadurch besonders gut im Geäst oder an den Rinden (und den darauf sitzenden Flechten) der Birke getarnt ist. Seine natürlichen Feinde, die Vögel, können ihn durch
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