Die Ecstasy-Affäre
du auch klar sehen, in welcher Situation du dich befindest.«
»Ich sehe sie ganz klar: Ich bin frei!« Er breitete die Arme aus, als stünde er nach langer Hitze endlich in einem kühlenden Regen. »Frei von dir!«
Ulrike schloß einen Moment die Augen. Dieser Satz war ein Urteil, und Robert verurteilte sich damit selbst. Es gab kein Überlegen mehr, kein Ausweichen, auch keine Flucht … Selbst Mitleid oder Reue empfand sie nicht mehr.
»Ich habe nur noch einen Wunsch …«, sagte Ulrike und führte damit den Plan aus, den von Gleichem entwickelt hatte. »Und dann ist – wie du willst – Schluß.«
»Was ist das für ein Wunsch?«
»Fahr mich zu der Stelle, wo Christa gestorben ist.«
Er fuhr herum, als hätte sie ihn geschlagen, und ballte dabei beide Fäuste.
»Du bist verrückt!« rief er. »Total verrückt! Was soll dieses Theater?«
»Ich möchte an dieser Stelle Abschied von dir nehmen. Für immer …«
»Das ist doch völliger Wahnsinn! Wie kannst du so was von mir verlangen? Das ist geradezu pervers!«
»Ich habe dich durch dieses Mädchen verloren, und ich will sehen, wo es geschehen ist. Mein letzter Wunsch an dich … Dann will ich dich nie wiedersehen. Betrachte es als Abschiedsgeschenk …«
»Vergiß es!«
»Hast du Angst?«
»Angst wovor?«
»Daß jetzt, nach zwei Tagen, alles anders aussieht als in jener Nacht? Nüchterner, dich nicht mehr auf den falschen Weg treibend. Ohne diesen plötzlichen Schock. Du bist doch kein Feigling, Bob. Begreif doch … Ich jage dich nicht fort, weil du diese Göre gebumst hast, ich kann darüber hinwegkommen …«
Es war ihr letzter Wunsch, dem Schicksal eine andere Wendung zu geben. Ein Anker, den sie auch für sich selbst auswarf.
Aber Robert schüttelte den Kopf. »Ich werde diese Nacht nie vergessen können. Du hast nicht gesehen, wie sie gestorben ist. Du hast nicht diese Augen gesehen, diesen aufgerissenen Mund, die Atemnot, das innere Glühen, das Zerbrechen ihres Herzens … Wie kann man das jemals verdrängen?« Er stellte den Fernseher an, eine dumme Quizsendung lief gerade, in der der Moderator fragte: »Wo liegt die Seufzerbrücke?«
»Bitte, laß mich in Ruhe!« Robert stellte den Ton bewußt laut und rief mit noch lauterer Stimme: »Nur noch ein paar Stunden, dann bin ich weg. Sei wenigstens für diese Stunden still!«
Sie ging ins Schlafzimmer, schloß sich ein und setzte sich auf das Bett. Die Spiegelwand warf ihr Bild zurück: ein versteinertes Gesicht, verengte Augen, heruntergezogene Lippen, Falten in den Mundwinkeln. Die Erbärmlichkeit eines weggestoßenen Menschens.
Von diesem Blick in den Spiegel an haßte sie Robert, vernichtete ihn mit einem Haß, zu dem nur eine in der Seele zerstörte Frau fähig war.
Der Morgen des Abschieds sah aus, als wäre es der Morgen eines sonnigen Ferientages für zwei glückliche Menschen. Es war wie eine Opfergabe für einen Toten, wenn man wußte, wie dieser Morgen ausgehen sollte.
Ulrike hatte den Kaffeetisch gedeckt, Spiegeleier mit Speck gebraten, vorgebackene Brötchen im Ofen knusprig gebacken, einen starken Kaffee gekocht, verschiedene Sorten Wurst hübsch auf einem Teller garniert, gekühlten Orangensaft in hohe Gläser gefüllt, sogar die Servietten waren zu Schiffchen gefaltet … Eine gute Überfahrt in das Niemandsland.
Das alles hatte Ulrike arrangiert, während Robert unter der Dusche stand. Sein Erstaunen war deshalb groß, als er den festlich gedeckten Tisch sah, aber zugleich zeigte er Ulrike auch seine Abwehr.
»Was soll das?« fragte er.
»Ich habe gedacht, das sei so üblich«, antwortete sie leichthin. »Die Henkersmahlzeit.«
»Hier wird niemand gehenkt … Wir gehen nur auseinander.«
»Für mich ist es das gleiche.«
Er gab darauf keine Antwort, um keine neue Diskussion zu entfachen, zog sich an und setzte sich an den Frühstückstisch. Aus der Küche kam Ulrike mit den nach Speck duftenden Spiegeleiern. Sie hatte Make-up aufgelegt, die Haare über Nacht zu Löckchen gedreht, die Lippen glänzten purpurrot … Sie sah einfach hinreißend aus. Das Minikleidchen umspielte ihre Formen, die langen Beine, gebräunt von den Sonnenbädern im Prinzregenten-Stadion, steckten in hochhackigen weiß-rot-gold geblümten Pumps. Es war die Ulrike Sperling, wie Robert sie kennengelernt hatte, die erfahrene Frau, die ihre Mädchenhaftigkeit ausspielen konnte, wenn das gebraucht wurde. Noch vor zehn Tagen hätte Robert ihr das Minikleidchen wieder abgestreift und sie ins
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