Die Ecstasy-Affäre
Wortke verstehen; auch er war voller Hoffnung gewesen, als Bademeister Pulver eine so genaue Beschreibung der unbekannten Frau geliefert hatte. Wortke hatte den Bademeister sogar noch einmal ins Amt bestellt und gefragt:
»Sieht sie wirklich so aus, wie wir sie im Computer rekonstruiert haben?«
»Genau so!« Pulver war fast beleidigt. »So eine Frau behält man doch im Gedächtnis!«
Dagegen wußte auch Wortke kein Argument. Aber der Fehlschlag zerrte an seinen Nerven. »Ich bin 43 Jahre alt«, sagte er voller Selbstanklage. »Da ist man doch noch nicht verkalkt! Ich frage mich immer wieder: Was habe ich falsch gemacht? Was habe ich übersehen?«
»Nichts, Theo.« Reiber wußte auch nicht, wie man Wortke trösten könnte. »Es lief alles routiniert ab, wie immer.«
»Routiniert … das war eben zu wenig! Wir sind ins Leere gelaufen! Wir haben den Schlüssel in der Hand, aber er dreht sich nicht im Schloß! Diese Frau …«
»Ist das dein einziger schwebender Fall? Doch wohl nicht.«
»Die Aufklärungsquote der Münchner Mordkommission liegt bei 83 Prozent. Aber die fehlenden 17 Prozent hängen an mir wie Blei. Kaum ein Fall ist klarer als diese Ecstasy-Affäre, alles paßt zueinander … Nur diese verfluchte Frau fehlt uns. Dann haben wir auch den Mörder! Mir will einfach nicht in den Kopf, daß niemand diese Frau kennt. Das gibt es einfach nicht!«
»Vielleicht sieht sie doch anders aus?« Reiber hatte schon lange diesen Verdacht gehegt, aber nach Pulvers zweiter Aussage wieder fallenlassen. Wortke fuhr herum wie angestochen.
»Das wäre eine Katastrophe! Denk nicht an so etwas!« Aber plötzlich wurde er ganz still und sank auf seinen Stuhl zurück. »Das ist es«, sagt er, überwältigt von seiner Erkenntnis. »Genau das ist es!«
»Was?«
»Wir waren zu gutgläubig. Peter, wir haben versagt! Wir haben uns nur auf diesen Toni Pulver gestützt, den Mann, der Habichts Geliebte kannte. Aber wenn er sie im Bad gesehen hat und wenn sie eine so auffallende Erscheinung war, haben auch andere sie gesehen. Und die haben wir zu verhören vergessen. Die Bedienungen im Restaurant, die Leute an der Kasse, die anderen Bademeister, die Eisverkäufer … Was sind wir doch für Idioten! Stümper sind wir! Versager nach zwanzig Dienstjahren! Wir sind unser Gehalt nicht wert!«
»Die Verhöre können wir sofort nachholen.«
»Kluges Jüngelchen.« Wortke lachte bitter auf. »Jetzt ist Winter. Das Bad ist geschlossen. Der Eisverkäufer verkauft jetzt irgendwo gebrannte Mandeln oder heiße Kastanien.«
»Dafür ist die Eisbahn offen, das Restaurant läuft weiter, und an der Kasse sitzen dieselben Leute.«
»Und die Spur ist inzwischen kalt.« Wortke erhob sich und holte seinen Mantel aus dem Schrank. »Versuchen wir es trotzdem.«
In der ersten Dezemberwoche hatte Habicht alle Betriebe besucht, die von Gleichem ihm aufgeschrieben hatte. Er hatte die Liste per Post geschickt, was Habicht als sehr kooperativ empfand. Telefonisch bedankte er sich für die Hilfe.
»Aber das ist doch selbstverständlich«, hatte von Gleichem abwehrend geantwortet. »Wo ich Ihnen helfen kann, setze ich mich ein. Ich habe die einzelnen Geschäftsführer schon informiert und Ihren Besuch angekündigt. Viel Glück.«
Natürlich lief Habicht offene Türen ein. Überall Kopfschütteln, Achselzucken, Bedauern. Zu lügen brauchte niemand … Man kannte diese Frau wirklich nicht. Erstaunt war nur von Gleichem, daß Lok sich so still verhielt und keine Anstrengungen unternahm, in den Besitz des Fotos zu kommen.
Um so aktiver zeigte sich die vietnamesische ›Geschäftsgruppe‹ an der deutsch-holländischen Grenze. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen mußte eine Sonderkommission ASIA bilden. Im Bereich der Städte Mönchengladbach, Viersen, Krefeld, Geldern, Nettetal, Emmerich und Goch, also entlang der Niederländischen Grenze, wurden Deutsche und Holländer in Gebüschen, an Bahndämmen oder unter einer Rheinbrücke gefunden, erwürgt mit einer Stahldrahtschlinge. Ein Hinweis des BKA auf ähnliche Morde in München löste Alarm beim LKA aus. Asiatische Mafia im Rheinland – und keinerlei Hinweise auf ein Motiv. Die Getöteten waren harmlose Bürger, sogar ein Architekt und ein Facharzt für Homöopathie waren darunter. Ein Holländer war sogar ein angesehener Fabrikant und Chemiker: Er besaß in Tilburg eine chemische Fabrik, wie die Kollegen der Kripo von Tilburg mitteilten, und stellte Düngemittel her. Ein reicher Mann mit vielen
Weitere Kostenlose Bücher