Die Edda - Die Edda
Königssaal
in der Helden Hut,
hold war mir jeder,
froh der Jugend
und des Vaterguts,
nur fünf Winter,
bis mein Vater starb.
14
Als letzte Rede
redete dies
der edle Herrscher,
ehe er heimging:
man solle, begabt
mit rotem Gold,
mich südwärts senden
dem Sohn Gjukis.
15
Doch Brünhild hieß er
den Helm nehmen,
Wunschmaid wollt er
sie werden lassen;
kein edler Weib
wachse, sprach er,
auf Erden auf,
bliebe Unheil fern.
16
Brünhild wob Borten
im Burggemach,
sie hatte Land
und Leute zu eigen.
Es hallte Erde
und Himmelswölbung,
als Fafnirs Töter
die Feste sah.
17
Kampf ward gekämpft
mit welscher Klinge,
erbrochen die Burg,
die Brünhild besaß;
kurz nur währt es -
es kam zu bald -,
bis allen Trug
sie aufgedeckt.
18
Des gewann sie
wilde Rache;
wir alle spürten
es allzusehr:
durch alle Lande
läuft die Kunde,
wie sie sich selbst
um Sigurd erstach.
19
Doch ich begann
Gunnar zu lieben,
den Brecher der Ringe,
wie Brünhild sollte.
Sie boten sogleich
goldne Ringe,
reiche Buße,
dem Bruder mein.
20
Für mich bot der Fürst
fünfzehn Höfe
und Granis Last,
begehrte sie Atli;
doch mein Bruder
wollte Brautgeld
nimmer nehmen
vom Nachfahr Gjukis.
21
Wir mochten nicht mehr
der Minne wehren,
bis ich das Haupt
des Herrschers umfing;
manches raunte
meine Sippe,
daß man uns beide
bei Bösem ertappt.
22
Doch Atli erklärte,
ich könne nie
einen Fehltritt tun
noch Frevel begehn;
solches aber
soll vom andern
kein Mensch leugnen,
wo Minne waltet.
23
Seine Boten
sandte Atli,
nach mir zu forschen,
durch finstern Wald;
sie kamen, da sie
nicht kommen sollten,
als eine Decke
uns umhüllte.
24
Rote Ringe
den Recken wir boten,
wenn sie Atli
alles verschwiegen;
hastig aber
eilten sie heim,
sagten eifrig
Atli die Mär.
25
Doch Gudrun
ward ganz verhohlen,
was sie zumeist
wissen mußte.
26
Goldner Hufe
Hall ertönte,
in den Hof ritten
Högni und Gunnar. -
Sie schnitten Högni
das Herz aus dem Leib
und schickten Gunnar
zum Schlangenhof.
27
Die Harfe schlug
der hohe König:
der Herrscher hoffte,
der hochgeborne,
zu Hilfe mich
hinzurufen.
28
Gefahren war ich
fort zu Geirmund,
den einen Tag,
Trank zu mischen;
hin nach Hlesey
hörte ich da
die Saiten singen
von sehrender Not.
29
Den Frauen befahl ich,
die Fahrt zu rüsten,
retten wollt ich
des Recken Leben;
schwimmen ließ ich
das Schiff übern Sund,
bis Atlis Höfe
ich alle sah.
30
Gekrochen kam
hervor des Königs
schlimme Mutter:
modern soll sie!
In Gunnars Herz
grub sie sich ein;
nicht konnt ich retten
des Königs Leben.
31
Oft wundert’s mich,
wie ich, Göttin
des Lindwurmlagers,
noch leben kann:
zu minnen meint ich
mehr als mich selbst
den schlachtschnellen
Schwengebieter.
32
Du saßest lauschend,
ich sagte dir
alles Unglück,
ihres und meins.
Seiner Liebe
lebt ein jeder -
zu Ende ist nun
Oddruns Klage.«
Anmerkungen
Die Handschrift stellt dem Liede diese Inhaltsangabe voran: »Ein König namens Heidrek hatte eine Tochter namens Borgny. Diese hatte einen Geliebten namens Wilmund. Sie konnte nicht niederkommen, bis daß Oddrun, die Schwester Atlis, sie aufsuchte. Diese war die Geliebte des Gjukungs Gunnar gewesen.« 1 4 Ein Phantasiename umstrittener Bedeutung. 4 Bei Hunaland denkt der Dichter nicht mehr an das wahre Hunnenland, denn aus diesem müßte ja Oddrun, die Schwester Atlis, stammen. 7 4 Die Anspielung bleibt uns dunkel. 11 3, 4 wörtlich: »Als ich Gunnar den Trank bereitete«, wie das Weib dem Liebhaber tut. 14 5-8, 15 Der Dichter bringt seine Schöpfung, die Oddrun, so unter, daß sie anfänglich die dem Gunnar bestimmte Frau war, daß aber Gunnars Wahl auf die kriegerische Schwester Brünhild fiel. 15 Odins Wunschmaide heißen die Walküren, und der Ausdruck konnte in unsrer jungen Dichtung auch auf eine irdische Schildmaid wie Brünhild übertragen werden. 20 2 d. i. Sigurds Drachenhort, womit er sein Roß Grani belud. 23 Oddrun ist zu Besuch im Hofe der Gjukunge; Atli schickt seine Späher hin durch den »finstern Wald«, der herkömmlicherweise die Landesgrenze bildet. 25 3, 4 Dann hätte sie die Brüder vor dem Anschlage ihres Gatten, Atli, warnen können. Verse, die auf Atlis trügerische Einladung wiesen, sind wohl vor 26 ausgefallen. 28 Hlesey, die dänische Insel Läsö im Kattegatt. Man sieht, wie frei diese jüngere isländische Dichtung mit dem Schauplatz der einst deutschen Sage umspringt! Nur die Vorstellung hält sie immer fest, daß es sich
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