Die Edda - Die Edda
Rache
für Helgis Mord,
wärst du ein Wolf
im Walde draußen,
fern der Freude,
fern dem Reichtum,
berstend vom Aas,
der Atzung dein!
30 Dag:
Wirr bist du, Schwester,
und wahnbetört,
da deinem Bruder
du Böses wünschst!
Alles Unheil
ist Odins Werk,
der zwischen Schwäger
Schuldrunen warf.
31
Dir gibt dein Bruder
goldne Ringe,
Wandils Weihtum
und Wigdals Flur;
die halbe Heimat
den Harm dir sühne,
du kleinodgeschmückte,
und den Knaben dein!
32 Sigrun:
Nicht sitz ich selig
zu Sewaberg,
nicht früh noch spät
freut mich das Leben,
flammt nicht im Licht
des Fürsten Schar,
trägt nicht den König
sein Kampfroß heim,
das goldgezäumte,
ich grüßte ihn froh.
33
So setzte Helgi
in helle Furcht
seine Feinde all
samt ihren Freunden,
wie vor dem Wolf
wild zerstieben
die Geißen vom Berg
in grausem Schreck.
34
So ragte Helgi
aus der Helden Schar
wie der edle Stamm
der Esche im Dorn,
wie der mächtge Hirsch
im Morgentau
über alles Wild
das Geweih erhebt,
daß auf gen Himmel
die Enden glänzen.
Eines Abends ging die Magd der Sigrun an Helgis Grabhügel vorbei und sah, wie Helgi mit vielen andern auf den Hügel zuritt. Sie sprach:
35
Ist’s Blendwerk bloß,
was ich erblicke?
Ist’s Götterdämmrung?
Begrabne reiten!
Ihr spornt die Rosse
mit spitzen Eisen!
Oder ist Heimkehr
den Helden verliehn?
36 Helgi:
Nicht Blendwerk ist’s,
was du erblickst,
noch Weltende,
gewahrst du uns auch,
spornen wir Rosse
mit spitzen Eisen,
ist Heimkehr auch
den Helden verliehn.
Die Magd ging nach Hause und sagte:
37
Hinaus geh, Sigrun
von Sewaberg,
willst du finden
den Volkslenker!
Heim kam Helgi,
der Hügel ist offen;
das Speermal blutet:
es bat der König,
du sollest trocknen
der Wunde Tropfen.
Da ging Sigrun zu Helgi in den Hügel und sprach:
38
Nun bin ich froh,
da ich dich gefunden,
wie Odins Falken,
nach Atzung gierig,
wenn sie Wal wittern,
warme Beute,
oder taubenetzt
das Tagrot schaun.
39
Küssen will ich
den toten König,
eh du die blutge
Brünne abwirfst.
Mit Reif ist, Helgi,
dein Haar bedeckt,
beträuft ist die Brust
vom Tau der Schlacht;
klamm sind die Hände
von Högnis Eidam:
wie soll ich, Herrscher,
heilen dein Leid?
40 Helgi:
Du schufst, Sigrun
von Sewaberg,
daß Helgi so
vom Harmtau feucht:
du goldige weinst
grimme Zähren,
schöne Südmaid,
vorm Schlafengehn:
die fallen blutig
auf des Fürsten Brust,
kalt und nagend,
von Kummer schwer.
41
Trefflichen Trank
trinken wir noch,
ob Leben und Land
verloren sind!
Keiner singe
uns Klagelieder,
sieht er die Brust auch
durchbohrt vom Speer!
Nun ist die Maid
mir, dem Toten,
die Herrschertochter,
im Hügel gesellt.
42 Sigrun:
Ein Lager hab ich dir,
Helgi, bereitet,
frei von Kummer,
du Königssproß:
im Arm will ich,
Edler. dir ruhn.
wie ich im Leben
weilte bei dir.
43 Helgi:
Nun will ich nichts
unmöglich nennen,
nicht jetzt noch je,
du junge Fürstin:
dem Leblosen
liegst du im Arm,
du hehre, im Hügel,
Högnis Tochter,
und lebst dennoch,
du lichte Maid!
Als der Morgen graute, erhob sich Helgi und sagte:
44
Reiten muß ich
rötlichen Pfad,
das fahle Roß
die Flugbahn lenken,
muß westlich sein
von Windhelms Brücke,
eh der Hahn im Saal
das Siegvolk weckt.
Am Abend darauf ließ Sigrun die Magd Wache halten am Hügel. Nach Sonnenuntergang kam sie selbst heraus und sagte:
45
Gekommen wäre,
wollt er kommen,
nun Sigmunds Sohn
gaus Odins Saal.
Hoffnung auf Helgis
Heimkehr dunkelt:
schon sitzen Aare
Tim Eschengezweig,
es treibt das Volk
dem Traumland zu.
46 Die Magd:
Nicht sei so verwegen,
allein zu wandern,
Herrschertochter,
zum Heim der Toten!
Mächtiger sind
um Mitternacht
der Toten Geister
als im Tageslicht.
Sigrun lebte nicht mehr lange vor Schmerz und Leid.
Anmerkungen
1 3, 4 Dies ist kaum anders zu verstehen, als daß Helgis Vater durch Hundings Mannen gefällt worden ist. Diese Jugendfehde Helgis war also eine Vaterrache. Aber der Sammler denkt sich den Vater noch am Leben, denn nachdem man den bekannten Sigmund als Helgis Vater eingesetzt hatte, mußte dem berühmteren Sohne, Sigurd, die Ehre der Vaterrache zufallen. 5 Der Wolf hier als Bezeichnung des Rächers. 7 Die Vögel der Walküre Hild sind die Raben. 8 1-4 Das Greifen von Bären und das Füttern der Adler: verhüllende Ausdrücke für Kampf (siehe 11 7, 8 ). 13 Unser Gedicht setzt die (jüngere) Strophenreihe B nicht voraus; diese Begegnung der Sigrun mit Helgi ist die erste (siehe 14 5-8 ).
Weitere Kostenlose Bücher