Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
kenne.«
Die übrigen Bewohner des Gehöftes waren inzwischen eingetroffen. Gerade einmal drei Personen, allesamt 50 plus, zwei Frauen, ein Mann, zu schick angezogen für die Feldarbeit. Feldarbeit Mitte Januar? Darüber hatte sich Irmi kurz und erfolglos den Kopf zerbrochen. Sie stellten sich als »die Angelika«, »die Luzi« und »der Konrad« vor, an Angelikas Anorak prangte das Karl-La gerfeld-Label. Auch er am Ende ein Tauschkumpan, der Geldwirtschaft über drüssig, ein Anorak wegen wie viele Sack Steckrüben? Es war obskur, um nicht zu sagen: merkwürdig.
Merkwürdig. Das war der richtige Ausdruck, stellte Vika fest. Was Regitz da erzählte, mochte einen Kern Wahrheit enthalten, aber man wusste ja, was es mit Kernen so auf sich hatte. Sie schmolzen gelegentlich dahin wie Butter in der Sonne, von der Lüge dick ummantelt. Aber er log nicht einmal schlecht, dieser Regitz. Wie er Lothar kennengelernt habe und der bei einem Zechgelage mit anschließendem sexuellen Ausklang (»Mädels! Nicht schwul oder so!«) einige Details der Osterhasensache ausgeplaudert habe. Er, Regitz, sei hellhörig geworden. Aus rein weltanschaulichen Gründen, versteht sich, denn wie bereits erwähnt: Er mochte die Arbeit an und für sich ganz gerne, nur das Geld verleidete ihm alles, das heißt die ziemliche Abwesenheit von Geld, »immer nur Mindestlohn oder Tagelohn und die anderen stopfen sich die Taschen voll. Ich hab dann – na ja, ich hab dann meine Ohren offen gehalten, bei diesen Exportfritzen bin ich ja als mies bezahlte Aushilfskraft quasi ein und aus gegangen, und das mit den Osterhasen war mir schnell klar und mit den Formeln, die da... aber das wisst ihr doch alles schon, oder?« Eben. Das wussten sie alles schon. Soviel zum winzigen Kern an Wahrheit, selbst Moritz Klein, sich langsam von der Malträtierung seiner edelsten Körperteile erholend, schaute sehr gequält und misstrauisch, Vika nestelte an ihrer Umhängetasche, tat so, als suche sie etwas darin – wahrscheinlich die Pistole, mit der sie Regitz erschießen würde, löge er allzu dreist.
»Tja, liebste Kerstin, du interessierst dich also für die Vision von der geldfreien Wirtschaft? Von der Befreiung der menschlichen Rasse vom Joch des Monetären? Freut mich, freut mich. Und glaub bloß nicht, das sei eine moderne Spinnerei von so ein paar drogengeschädigten Althippies! Kennst du eigentlich die Geschichte der geldfreien Wirtschaft? Sagt dir der Name Graf Strontium etwas? Nein? Nun, wenn du ein wenig Zeit mitgebracht hast, erzähle ich dir das alles gerne in groben Zügen.«
Irmi war kurz davor zu rülpsen, was hier niemanden gestört hätte, das war ihr klar. In ihrem Magen vereinigten sich die Spezialitäten vieler Länder, schwammen in den ätzenden Wonnen eines mindestens 40 Jahre alten Grappas, den »die Luzi« aus einem Schränkchen im Wohnzimmer geholt hatte. Der Rainer seinerseits hatte für sich und den Konrad dicke kubanische Zigarren aus der Jackentasche gezogen. So saßen sie da, rauchten, tranken und genossen die Stille des Landlebens. Im Stall muhte eine Kuh, daneben wieherte ein Pferd und ein Schwein pfiff. Auch der Rainer begann sinnierend aus sich heraus zu pfeifen. »Dann beginnen wir am besten gleich dort, wo immer alles beginnt. Bei einem Menschen, der eine Idee hat.«
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Regitz schwitzte, obwohl die Temperaturen im Café, draußen gar, ihre Hände, so sie welche gehabt hätten, in eiskalter Unschuld wuschen. Prima, dachte der Alte, ich hab welche, also wasche ich sie mal fleißig. Vika war ungeduldig geworden. Aber was konnte ihm hier passieren? Nichts, oder? Es überraschte ihn, dass er dennoch mit der Möglichkeit rechnete, sie werde ihre Knarre auspacken und ihn coram publico umnieten.
»Na, ich bin ein wissbegieriger Mensch. Gelt, Moritz?« Der nickte tatsächlich, wenn auch nicht mit der gewünschten Inbrunst. »Ich wollte eben alles wissen über dieses Geldlosgedöns, das war so eine Art Volkshochschulkursus, ja? Sie haben mir das ganz en détail verklickert, wie der Franzose sagt, also wie das angefangen hat. Keine neue Idee.«
»Fürwahr«, schmunzelte der Rainer und produzierte eine mächtige kubanische Rauchwolke, »neu ist das nicht. Die Idee von der Abschaffung des Geldes ist uralt. Die Inkas kannten kein Geld, bis die spanischen Eroberer es ihnen brachten – und leider noch vieles mehr. Zum Fundus der Ideen des Anarchismus im 19. Jahrhundert gehörte die Vision vom Verschwinden des Geldes natürlich auch, den ersten
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