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Die Eheprobe

Die Eheprobe

Titel: Die Eheprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Gideon
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seine Hand. Es war berauschend, dem Erfolg so nahe zu sein, denn es bestand immerhin die Möglichkeit, dass ein bisschen von diesem Erfolg auf einen selbst abfärbte. William war höflich. Er hörte zu und nickte, sagte aber wenig. Sein Blick fiel immer mal wieder auf mich, und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gesagt, er wäre wütend – so finster sah er mich an. Aber im Laufe des Abends spürte mich sein Blick immer offener und geradezu zwanghaft auf. Ich kam mir vor wie ein Weinglas, aus dem er jedes Mal, wenn er mich anstarrte, einen Schluck trank.
    Ich fixierte den Teller vor mir. Meine Linguine con Cozze al Sugo Rosso waren köstlich, aber praktisch unberührt, weil mich dieses ganze verstohlene Anstarren schwindlig machte.
    Â»Eine Rede, eine Rede!«
    Helen beugte sich vor und flüsterte etwas in Williams Ohr, und ein paar Minuten später gestattete William Mort Rich, dem Art Director, ihn in die Mitte des Restaurants zu befördern. Er zog einen Zettel aus seiner Jacketttasche, strich ihn glatt und begann vorzulesen.
    Â»Tipps für das Halten einer Rede. – Stell sicher, dass du nicht gerade auf dem Klo bist, wenn du deine Rede halten sollst. – Bedanke dich bei deinen Mitarbeitern, die dir geholfen haben, diesen Preis zu gewinnen. – Leg eine Pause ein. – Sag niemals, dass du den Sieg nicht verdient hast. Damit beleidigst du deine Mitarbeiter, die die ganze Arbeit für dich gemacht haben, damit du dich vor alle hinstellst und den Ruhm für die Auszeichnung einheimst. – Bedanke dich nicht bei Leuten, die nichts mit der Auszeichnung zu tun haben. Damit sind Ehefrauen, Freundinnen, Freunde, Chefs, Kellner und Barkeeper gemeint. – Nach reiflicher Überlegung bedanke dich doch beim Barkeeper, der maßgeblich an deinem Erfolg beteiligt war. – Leg eine Pause ein. – Wenn du genügend Zeit hast, nenne alle Namen einzeln und bedanke dich persönlich.«
    William blickte auf die Uhr.
    Â»Keine Pause. – Lächle, trete bescheiden auf und sei liebenswürdig. – Beende deine Rede mit einem inspirierenden Schlusssatz.«
    Im Restaurant brachen Gelächter und tosender Applaus aus. Als William sich wieder an seinem Tisch niederließ, nahm Helen sein Gesicht in beide Hände, blickte ihm tief in die Augen und küsste ihn auf den Mund, begleitet von ein paar Ahs und Ohs. Der Kuss dauerte gute zehn Sekunden. Aufgekratzt, aber irgendwie auch triumphierend sah sie zu mir herüber, und ich drehte mich betroffen zur Seite, und meine Augen füllten sich gegen meinen Willen mit Tränen.
    Â»O wie zuckersüß, sind die beiden denn schon verlobt?«, fragte die Frau neben mir.
    Â»Ich kann keinen Ring erkennen«, antwortete eine andere Kollegin.
    Hatte ich mir das alles nur eingebildet? Das Flirten? Ganz offensichtlich, denn während des restlichen Abends tat William so, als wäre ich gar nicht anwesend. Ich war so dämlich. Unsichtbar. Bescheuert. Ich trug hautfarbene Strümpfe, die, wie ich jetzt erst sah, nicht hautfarben, sondern quasi orange waren.
    Gegen Mitternacht begegnete ich ihm im Flur auf dem Weg zu den Toiletten. Der Gang war schmal, und unsere Hände berührten sich, als wir uns aneinander vorbeiquetschten. Ich war wild entschlossen, kein Wort zu ihm zu sagen. Unsere Lauftage waren Geschichte. Ich würde um die Versetzung in ein anderes Team bitten. Aber als sich unsere Fingerknöchel trafen, kam es unleugbar zu einem Stromschlag zwischen uns. Er fühlte ihn auch, weil er wie angewurzelt stehen blieb. Wir blickten jeweils in die entgegengesetzte Richtung, er ins Restaurant, ich zu den Toiletten.
    Â»Alice«, flüsterte er.
    In dem Moment fiel mir auf, dass ich noch nie gehört hatte, wie er meinen Namen ausspricht. Bis jetzt hatte er mich immer Brown genannt.
    Â»Alice«, wiederholte er mit einer tiefen, rauen Stimme.
    Dieses Alice klang nicht so, als wollte er mir eine Frage stellen oder mir irgendwas erzählen. Er sprach meinen Namen wie das Bekenntnis einer Tatsache aus. Als wäre er nach einer langen Reise (einer Reise, die er weder gewollt noch geplant hatte) endlich bei meinem Namen – bei mir – angekommen.
    Ich starrte die Toilettentüren an. Ich las Frauen – Donna . Ich las Männer – Huomo .
    Er berührte meine Finger, aber diesmal war es kein Zufall. Die Berührung war ganz kurz, und nur ich ganz allein sollte sie

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