Die Ehre der Königin
nichts hätte abzeichnen dürfen – ganz besonders nicht der Umriß einer automatischen Pistole.
Der I.O. zwang sich zum Wegsehen. Vielleicht hatte er unrecht mit seiner Interpretation des Umrisses, aber das bezweifelte er. Doch selbstverständlich konnte es eine harmlose Erklärung für die Waffe geben. Hart könnte damit seine Ängste kompensieren, oder vielleicht war er ein Einzelfall, ein Mann, der unter der Anspannung zerbrach. In der Enge der Brücke wäre so etwas beängstigend genug, und doch hätte Manning all das dem Sachverhalt vorgezogen, von dem er nun wußte, daß er bestand.
Er drückte einen Knopf am Intercom.
»Hier ist der Captain«, antwortete eine Stimme, und Manning bemühte sich, so natürlich zu klingen wie nur irgend möglich.
»Commander Manning, Sir. Ich dachte, Sie wollten vielleicht erfahren, daß wir Basis Drei über die geschätzte Ankunftszeit der Meute auf den neuesten Stand gebracht haben.«
Bei dem Wort ›Meute‹ gefror das Gesicht von Captain Alfredo Yu zu einer Maske. Er sah zu den anderen Anwesenden hinüber, und sie erwiderten seinen Blick mit gleichem Entsetzen. Einen Augenblick lang entzog sich jeder Gedanke seinem Zugriff, er spürte nur, wie ihm der Magen ins Bodenlose sank, dann begann sein Gehirn wieder zu arbeiten.
»Habe verstanden, Mr. Manning. Ich diskutiere die Erfordernisse des Lebenserhaltungssystems mit Commander Valentine und DeGeorge. Könnten Sie vielleicht in meiner Kajüte vorbeischauen und uns bei den Zahlen helfen?«
»Ich fürchte, ich kann mich im Moment nicht freimachen, Sir.«
Mannings Stimme klang ruhig, und doch biß Yu vor Qual die Zähne zusammen.
»Also gut, George«, sagte er. »Vielen Dank für die Mitteilung.«
»Gern geschehen, Sir«, antwortete Manning unbewegt, und mit einem Klicken endete die Verbindung.
»Um Gottes willen, Skipper«, rief Valentine drängend, »wir können George doch nicht allein dort oben las …!«
»Seien Sie ruhig, Jim.« Die völlige Abwesenheit allen Gefühls in Yus Stimme machte es nur noch schrecklicher, und Valentine schloß vernehmlich den Mund. Der Captain kniff nachdenklich die Augen zu, während seine Untergebenen in angespanntem Schweigen saßen.
Yu spürte ihre Furcht und verfluchte seine eigene Selbstgefälligkeit. Er war so verdammt zufrieden gewesen, als er erfuhr, daß Simonds nichts weiter wollte, als die Garnisonen der Asteroidenbasen zu verstärken! Warum zum Teufel hatte er nicht bedacht, was es bedeuten könnte, scharenweise bewaffnete Masadaner an Bord der Donner zu haben?
Panik drohte ihn zu überwältigen, doch er kämpfte sie nieder. Wenigstens war George aufmerksamer gewesen als er. Seine Pläne für den Eventualfall schlossen nicht ein, daß sich so viele Bewaffnete an Bord befanden. Kaum ein Drittel der regulären Besatzung der Donner waren noch Haveniten; mit all den masadanischen Soldaten an Bord waren sie fünf zu eins unterlegen.
Er stand auf, ging zur Schottür, öffnete sie und atmete erleichtert auf, als er den Marineinfanterieposten im Korridor erblickte. Der Corporal sah auf, als sich die Luke öffnete, und nahm Haltung an. Yu winkte ihn herbei. Der Mann kam näher, und der Captain sprach mit sehr leiser Stimme: »Gehen Sie zu Major Bryan, Mariin. Sagen Sie ihm, Fall Bounty ist eingetreten.«
Yu schickte den Corporal nicht gern persönlich, aber eine andere Möglichkeit hatte er nicht. Es war ihm gelungen, seine alten Marineinfanterieoffiziere und die meisten Unteroffiziere an Bord zu halten, und jeder von ihnen wußte, was Fall Bounty bedeutete, doch beinahe die Hälfte der gewöhnlichen Marines der Donner waren Masadaner und hatten die gleichen Comgeräte wie Yus Getreue. Wenn sie in die Sache eingeweiht waren (und das konnte man mit Sicherheit annehmen), und nur einer von ihnen hörte Marlin codierte Nachrichten übermitteln …
Corporal Marlin erbleichte, dann nickte er, salutierte und marschierte flink den Korridor entlang. Yu sah ihm nach und hoffte, daß der Corporal Bryan noch rechtzeitig erreichte, dann zog er sich in seine Kajüte zurück.
Mit dem Daumen drückte er auf die Sicherungsplatte eines Wandspinds, und nachdem der Scanner seinen Daumenabdruck erkannt hatte, schwang die Tür auf. Die Faustfeuerwaffen in den Regalen befanden sich in Schulterhalftern, wie die Polizei sie benutzte, nicht in den militärüblichen Holstern. Er warf den beiden Offizieren jeweils eine davon zu, dann öffnete er die Uniformjacke und zog sie sich aus. Er legte das
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