Die Ehre der MacKenzies (German Edition)
die Kidnapper so weit entfernt waren, dass sie das Geräusch nicht hören würden. Frische Luft strömte in die muffige Kammer. Wie eine Katze ließ Zane sich hinabgleiten und drehte sich zu Barrie um.
„Sie können Ihren Fuß in meine Hand stellen oder auf meine Schultern klettern. Was ist Ihnen lieber?“
Der Hauch von grauem Licht fiel durch das offene Fenster. Zane erkannte den Zweifel in ihrer Miene, während sie auf die Öffnung starrte, und zum ersten Mal konnte er ihr Gesicht erkennen, die ebenen Züge. Den hübsch proportionierten Körper von Miss Lovejoy kannte er bereits. Jetzt wusste Zane auch, dass sie mehr als nur ansehnlich war.
„Passen Sie da durch?“ Sie ging nicht auf seine Frage ein, begutachtete stattdessen seine breiten Schultern, seine Statur, und verglich sie mit der Größe des Fensters.
Zane hatte längst Maß genommen. „Es wird eng, aber ich bin schon durch kleinere Löcher gekrochen.“
Sie sah ihn an, dann nickte sie einmal entschlossen. Sie war so weit. Allerdings bemerkte Zane auch, dass sie an die Schwierigkeiten mit dem provisorischen Sarong dachte, und konnte genau den Moment bestimmen, in dem sie ihre Entscheidung traf. Sie reckte die Schulter und hob das Kinn, knotete das leichte Material von der Hüfte los und wickelte es sich wie einen Schal um den Hals.
„Ich denke, ich werde lieber auf Ihre Schultern klettern. Dann kann ich mich besser abstützen.“
Zane kniete sich hin und streckte die Arme in die Luft. Barrie ging um ihn herum und stellte ihren rechten Fuß auf seine rechte Schulter. Sobald ihr linker Fuß ebenfalls in der richtigen Position war, fasste Barrie nach Zanes Händen. Langsam erhob er sich mit ihr. Ihr Gewicht war nichts im Vergleich zu der Ausrüstung, mit der er trainiert hatte. Er näherte sich der Wand, und Barrie ließ seine rechte Hand los, um sich am Fenstersims festzuhalten. „Dann auf“, murmelte sie noch und hechtete kopfüber durch die Öffnung.
Es war der schnellste Weg, jedoch sicherlich nicht der bequemste. Ihr blieb keine Möglichkeit, den Fall auf der anderen Seite abzubremsen. Zane sah das Schimmern von weißen Schenkeln an sich vorbeiziehen und die bloßen Rundungen ihres Hinterteils, dann hörte er den dumpfen Aufprall.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, flüsterte er gepresst. Einen Moment lang blieb es still, dann kam die leicht unsichere Antwort: „Ich denke schon.“
„Nehmen Sie die Waffe an.“ Er reichte ihr seine Maschinenpistole nach draußen, dann machte er sich daran, seine Ausrüstung abzulegen, und schob diese ebenfalls vorsichtig durch die Luke. Danach folgte er selbst, landete geschmeidig und kaum hörbar auf der anderen Seite in der Hocke.
Tageslicht kündigte sich an, das Halbdunkel würde bald der hellen Sonne weichen. „Kommen Sie“, drängte er Barrie, die, eingeschlagen in die Decke, auf dem Boden wartete, bis er seine Ausrüstung wieder angelegt hatte. „Wir müssen uns beeilen.“ In einer Hand eine entsicherte Pistole, griff er mit der anderen nach Barrie und zog sie hinter sich her in die nächste Seitengasse.
Benghazi war eine moderne, westlich orientierte Stadt. Nicht verwunder lich, da es sich um Libyens größten Hafen handelte. Sie befanden sich in der Nähe der Docks, der Geruch des Meeres hing schwer in der Luft, generell eine Gegend, in der raue Sitten herrschten. Wie Zane vermutet hatte, war keine Polizei gekommen, um die Schießerei zu ahnden, wahrscheinlich hatte sich auch niemand die Mühe gemacht, die Behörden zu informieren. Die Beziehungen zwischen den USA und Libyen waren nicht gerade die besten, aber das bedeutete nicht, dass die libysche Regierung es sich leisten konnte, die Entführung einer Diplomatentochter unter den Teppich zu kehren. Natürlich war es gut möglich, dass sie genau das vorhatten. Deshalb hatte man sich ja auch entschieden, nicht diplomatische Kanäle zu nutzen, sondern reinzugehen und Miss Lovejoy zu befreien.
Am Hafen standen überall heruntergekommene Gebäude und Baracken. In irgendeiner dieser Hütten würde sich der Rest des Teams eingenistet haben, um die Verfolger von Zane und Miss Lovejoy abzulenken. Für ein Uhr mittags am nächsten Tag war ein Treffpunkt vereinbart worden, an dem die Truppe zueinanderstoßen würde. Spooky hatte die Plätze ausgesucht, also vertraute Zane darauf, dass sie relativ sicher waren. Er und Miss Lovejoy eilten durch ein Labyrinth von schmalen Pfaden. Einmal entfuhr Barrie ein angewiderter leiser Laut, als sie mit den
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