Die Ehre des Ritters (German Edition)
in Versuchung führen, ihre Ehre auf den Prüfstand stellen wollen – und bei dieser Prüfung hatte sie jämmerlich versagt. Er hatte sie gefragt, ob sich sein Kuss richtig anfühlen würde, ob es ihr gefiele, wenn er sie berühre, ob sie das teile, was er so passend brennende Sehnsucht genannt hatte.
Selbst jetzt, auf den Knien im Hause Gottes, vor dem Kreuz, im Angesicht von Jesus und der Muttergottes, die auf sie in einträchtiger Verurteilung herabblickten, konnte Isabel es nicht leugnen. Sie sehnte sich nach Griffin. Sie verzehrte sich nach seinen zärtlichen Liebkosungen, seiner starken Umarmung … seinen sinnlichen, aufwühlenden Küssen. Sie wollte all das und noch mehr. Sie wollte sein Herz gewinnen.
Obwohl es falsch war – eine Sünde, auch nur daran zu denken –, wollte sie seine Liebe.
»Bitte«, flüsterte sie eindringlich unter neuen Tränen. Sie verschränkte die Finger so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Bitte, Herr, ich flehe dich an. Ich möchte nicht so fühlen … gib mir ein Zeichen, was ich tun soll.«
Ein Geräusch im hinteren Teil der Kapelle ließ sie aufschrecken: schlurfende Schritte, das Rascheln einer schweren Seidenrobe. Rasch wischte sich Isabel die Tränen aus dem Gesicht und blickte über die Schulter, um zu sehen, wer gekommen war.
»Oh, verzeiht mir, mein Kind«, sagte Pater Aldon, der alte Pfarrer von Hexford. »Es tut mir leid, ich habe Euch nicht bemerkt. Bitte lasst Euch nicht in Eurem Gebet stören.«
»Ihr stört mich nicht, Pater. Ich wollte gerade gehen.«
Sie wollte sich erheben, doch ihre Beine waren vom langen Knien auf dem feuchten Steinboden schwer geworden. Der Pfarrer sah, wie sie sich abmühte, und eilte zu ihr, um ihr aufzuhelfen. Seine schmale, faltige Hand schloss sich kühl um Isabels Finger, und er zog sie mit freundlichem Lächeln auf die Füße. Je länger er sie anblickte, desto besorgter wurde seine freundliche Miene indes.
»Ihr habt geweint, mein Kind«, meinte er mitfühlend, ohne seinen schwachen Griff zu lösen. »Vielleicht wollt Ihr mir anvertrauen, was Euch bekümmert?«
Isabel schüttelte den Kopf und löste beiläufig ihre Finger aus seiner Hand. »Danke, nein.«
»Wie Ihr wisst, meine Tochter, ist geteiltes Leid halbes Leid.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Mir war ein wenig schwermütig zumute, aber ich habe Trost in der Kapelle gefunden. Mir geht es gut, Pater, wirklich.«
Dass es ihr gut ging, war eine glatte Lüge. Sie hoffte, Pater Aldon würde ihr glauben, ihre ausweichende Antwort hinnehmen, ihr seinen Segen geben und sich verabschieden. Doch er musterte sie nur noch eindringlicher. Seine silbergrauen Augen schienen sie förmlich zu durchbohren und ihr war, als könne er bis in die hinterste Ecke ihrer verruchten Seele blicken und all ihre Lügen und Sünden durchschauen.
Isabel konnte diesem forschenden Blick nicht standhalten. Sie schaute auf ihre Hände, die sie nun vor dem Bauch verschränkt hielt. Einem Bauch, der sich durch weitere Beweise ihrer Verderbtheit wölbte. Sie berechnete die Schritte zur Tür, sah auf und wollte sich bei dem Pfarrer verabschieden. »Ich habe mich schon zu lange hier aufgehalten, Pater. Wenn Ihr erlaubt, würde ich gerne zur Halle zurückkehren und Euch Euren Aufgaben überlassen.«
Doch das Interesse des alten Priesters schien erwacht. »Ihr gehört nicht zu meinen Schäfchen in Hexford«, meinte er gedankenvoll. »Seid Ihr eine Pilgerin, Mylady? Habt Ihr kürzlich Zuflucht vor dem unwirtlichen Wetter gesucht?«
Isabel nickte. »Ja, Pater.«
»Ja«, sagte er nachdenklich und wackelte mit dem Zeigefinger. »Jetzt, da ich Euch anblicke, fällt mir ein, dass ich Euch und Euren Gatten beim Abendessen gestern gesehen habe. Ihr kommt aus dem Norden, hat man, glaube ich, erwähnt?«
»Wir reisen nach Norden«, berichtigte sie. Das schlechte Gewissen ließ ihre Antwort etwas zu hastig ausfallen. »Wir sind auf dem Weg nach Norden … um meine Familie zu besuchen.«
»Ah, Ihr reist nach Hause, um Euer Kind im Kreise der Familie zur Welt zu bringen«, meinte er. »Ich nehme an, das wäre auch ohne den andauernden Regen ein anstrengendes Unterfangen gewesen. Es war klug von Eurem Gatten, in der Burg Zuflucht zu nehmen und das Gewitter abzuwarten. Immerhin tragt Ihr ein kostbares Gut in Euch, nicht wahr?«
»Ja, natürlich«, sagte sie. Nur mit Mühe brachte sie die Lüge über die Lippen, weil sie gleichzeitig versuchte, sich zu einem Lächeln zu zwingen. Sie spürte, wie sie
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