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Die ehrenwerten Diebe

Die ehrenwerten Diebe

Titel: Die ehrenwerten Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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oder ihn auf die halbe Dosis gesetzt hätten. Ich wollte einen Arzt anrufen, um ihn zu fragen, wie lange ein Diabetiker ohne oder mit zu wenig Insulin überleben könne.
    Da endlich klingelte das Telefon. »Ich«, sagte Pit Vonwall. »Läuft alles nach Plan. Wir schlagen gleich zu.«
    Er legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich lief wieder in meinem feudalen Gefängnis auf und ab, gefoltert von Zeit und Fantasie. Eine Viertelstunde lang erfand ich Pannen am laufenden Band.
    Kurz nach 17 Uhr endete der Spuk.
    Es war Sandra. Schon bevor ich den Sinn ihrer Worte erfasste, wurde mir am Klang ihrer Stimme klar, daß die Polizei Letters befreit hatte.
    »Wir haben ihn«, sagte Sandra. »Er ist in einem schlechten Zustand, aber er wird durchkommen.«
    »Und die beiden Ausbrecher sind die Täter?« fragte ich.
    »Natürlich«, erwiderte sie. »Erklär' ich dir alles bei der Siegesfeier, Mike. Du kommst doch?«
    Nun wurde auch Koretzky reif für die Züricher Polizei, aber Hürlimann war ein abwartender Kriminalist. Er wollte nicht vor der Bestätigung durch das Bundeskriminalamt zugreifen.
    »Der Mann wird beschattet«, sagte er, als ich mich verabschiedete. »Seien Sie ohne Sorge.«
    Dann gab's doch ein Wiedersehen. Als ich den Airport Kloten betrat, um nach Düsseldorf zurückzufliegen, ließ der eidgenössische Argus Koretzky sich von Beamten abführen. Er stand ein wenig abseits, als ginge ihn der Vorgang nichts an. Er blinzelte mir zu. Der Adressen-Dieb hatte keine frische Gesichtsfarbe mehr; er sah in diesem Moment aus, als hätte er die Strafe bereits abgesessen, die ihn erwartete.
    »Stellen Sie sich vor«, sagte Hürlimann, »Ihr Geschäftsfreund wollte nach Caracas.«
    »So etwas«, versetzte ich. »Wo wir ihn so dringend für unsere Fertighäuser gebraucht hätten.«
    Glatter Flug. Sichere Landung. Und dann Sandra.
    Das Wiedersehen war kurz. Sie mußte nach Rom. Ihr nächster Fall. Wie viele Top-Journalisten schien sie keine Ereignisse zu verfolgen, sondern von ihnen verfolgt zu werden.
    »Eine unwahrscheinliche Geschichte«, begrüßte sie mich. »Meine Maschine geht in ein paar Minuten.«
    »Und was wird aus unserer Siegesfeier?« fragte ich verärgert.
    »Das nächstemal«, erwiderte sie.
    »Und wann ist das?«
    »Vielleicht morgen«, versetzte Sandra, »vielleicht nie.«
    »Geht nichts über einen präzisen Termin«, antwortete ich verbiestert.
    »Möchtest du mich denn wieder sehen?« fragte Sandra.
    »Allerdings«, entgegnete ich.
    »Well. Ich wohne im Excelsior in Rom. Ein bekanntes Hotel, nicht schwer zu finden.«
    Sie hielt mir die Wange zum Kuß hin, winkte und ging.
    Ich sah ihr nach.
    Man sagt, alle Wege führen nach Rom.
    Ich setzte einen Moment lang darauf, wenigstens einen zu finden.

5
    Eine Flugstunde noch, dann Zwischenlandung am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt, Weiterflug nach München-Riem, und das hieß, daß ich nach fünf Monaten Abwesenheit endlich wieder nach Hause an den Starnberger See käme.
    Zuerst hatte ich mich in Rio aufgehalten, nicht am Strand von Copacabana, sondern um bei der Tochter-Gesellschaft eines deutschen Automobilkonzerns nach dem Rechten zu sehen. Anschließend war ich zu Ford nach Detroit gekommen, und zuletzt hatte ich drei Monate in New York zugebracht, der aufregendsten Stadt der Welt.
    Die Verflechtung der Industrie war in den letzten Jahren weltweit ausgebaut worden. Es gab nicht nur US-Töchter in Germany. Viele deutsche Unternehmen hatten sich amerikanische Brückenköpfe zugelegt; einige hatte ich durch Pinkerton-Leute absichern lassen.
    Eine interessante, hektische Zeit lag hinter mir und ein, wie ich hoffte, Vier-Wochen-Urlaub vor mir.
    Mein Sitznachbar bot mir seine Zeitung an.
    Es war Le Monde, Frankreichs faszinierende Zeitung.
    Mehr als die großen Weltnachrichten fesselte mich eine fast versteckte Notiz auf der vermischten Seite: Ich hatte in meiner Branche merkwürdige Erlebnisse genug hinter mir: Industriespionage, bei der es um so banale Dinge wie Schnittmuster, Patentknöpfe, Schweinemastmittel, kalorienfreies Bratfett, geruchlosen Käse, stäbchenlose Büstenhalter und kussechten Lippenstift ging; aber was sich in Perpignan ereignet hatte, stellte alles in den Schatten, gewissermaßen in den Todesschatten.
    Hier hatte durch Werkspionage die Konkurrenz dem Beerdigungs-Institut Pompes funèbres du Rousillon mit Hilfe eines angezapften Telefons die Leichen abgejagt. Die Sache war aus der Gruft ans Tageslicht gekommen, als der Umsatz des

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