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Die ehrenwerten Diebe

Die ehrenwerten Diebe

Titel: Die ehrenwerten Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Großkonzern, der sich nicht damit begnügte, Farbfernseher, Küchengeräte, Klein-Computer und Elektro-Zahnbürsten herzustellen. Der Ehrgeiz Dr. Meissenbachs reichte viel weiter und steckte das ganze Haus an. Über eine US-Filiale lieferte SIRIUS Artikel für die Weltraumfahrt, und im streng abgeschirmten Versuchsgelände wurde das ›Projekt 21‹ vorangetrieben; eine Autobatterie mit ungeheurer Ladekraft, die eines baldigen Tages den bisherigen Treibstoff ersetzen sollte. Bisher waren alle Versuche daran gescheitert, daß die Batterien eine zu geringe Potenz hatten und ihrer bescheidenen Speicherkraft wegen viel zu groß geraten waren. Die Entwicklung des Dr. Meissenbach hatte die Größe halbiert und die Kraft verdoppelt.
    »Und das ist erst der Anfang«, erläuterte Georg Westhoff. »Auf dem Papier ist das Problem praktisch gelöst. Wir experimentieren bereits.«
    Er brauchte mir nicht zu erklären, was die Erfindung im Zeitalter explodierender Benzinpreise bedeutete. Die Automobilbranche hatte durch die Energiekrise schwere Einbrüche hinnehmen müssen. Viele Autofahrer waren aus Sparsamkeitsgründen auf U-Bahn oder Fahrrad umgestiegen. Von der Masse der Käufer wurden nur noch Autos mit kleinen und mittleren Motoren erworben, und die Pessimisten – oder auch Optimisten, je nachdem, von welcher Warte aus man es sah – beschrieben bereits eine Welt von Fußgängern.
    »Und in dieser Situation«, sagte der Generaldirektor Westhoff grimmig, »kommt nun der Erfinder und Meister persönlich und bewirbt sich um eine Lehrlingsstellung. Natürlich, ohne bei uns gekündigt zu haben. Wenn ich meinen Kollegen nicht so gut kennen würde, müßte ich annehmen, daß er einen Dachschaden hat.«
    »Vielleicht eine Kurzschlußhandlung«, erwiderte ich. »Sicher ist Dr. Meissenbach überarbeitet.«
    »Wer ist das nicht in diesem Irrenhaus?« sagte Westhoff. »Diese Schweinerei muß unter allen Umständen verhindert werden«, fuhr er fort. »Ganz gleich, was dahintersteckt. Dieser Mann ist ein gottbegnadeter Konstrukteur.« Sein Gesicht hatte sich gerötet; sein Blutdruck mußte gestiegen sein. »Ich denke nicht daran, ihn gehen zu lassen.«
    Außerdem kennt Dr. Meissenbach jede Entwicklung dieses Hauses, überlegte ich, darunter Patente, in die schon Millionen investiert worden sind, bevor sie überhaupt Marktreife erlangen.
    »Hier«, sagte Westhoff und übergab mir in einen verschlossenen Umschlag die Bewerbung und den Personalakt des Chef-Ingenieurs. »Ich möchte wissen, was dahintersteckt. Sie müssen mir dabei helfen, Fabian. Das Schlimmste an der Sache ist: Übermorgen führt Dr. Meissenbach in New York Lizenz-Verhandlungen mit unserem US-Partner. Ich kann an der Besprechung nicht teilnehmen. Ich kann aber doch auch nicht einen Mann in dieser merkwürdigen Situation unbeobacht lassen.«
    »Und da dachten Sie an mich als Blindenhund«, entgegnete ich.
    »So ungefähr«, versetzte Westhoff. »Ich werde Sie bei meinem Vorstandskollegen als Experten für den US-Markt avisieren.«
    »Wie lange läuft der Vertrag Ihres Entwicklungschefs noch?« fragte ich.
    »Bis zum Herbst. Wenn er bis dahin nicht gekündigt wird, verlängert er sich automatisch um drei weitere Jahre.«
    »Hat sich Dr. Meissenbach auch noch anderswo beworben?«
    »Wenn ich das wüsste!« knurrte der SIRIUS-Boß wütend.
    »Wer weiß außer Ihnen noch von dieser Sache, Herr Westhoff?« fragte ich.
    »Der Personalchef. Er ist glücklicherweise gleich zu mir gekommen.«
    »Und sonst?«
    »Dr. Draist. Mein junger Mann. Fliegt übrigens mit nach New York«, sagte der Industrielle mit einem seltsamen Lächeln, das ich noch nicht zu deuten wußte. »Moment mal«, setzte er hinzu und ging an die Tür. »Dr. Draist, bitte«, rief er der Vorzimmer-Baronin zu.
    Vielleicht lag es an der Zeitverschiebung, daß ich nicht schnell genug reagieren konnte; jedenfalls stand ich beim ersten Anblick Dr. Draists da wie ein geleimter Bauer: Der junge Mann des SIRIUS-Chefs war eine junge Frau.
    Vom Aussehen her glich die neunundzwanzigjährige Blondine einer verwöhnten Berufstochter von Rhein und Ruhr. Ich erfuhr, daß sie promovierte Soziologin war und sich erste Sporen in den USA verdient hatte. Ihre Augen wirkten mehr blau als grün, aber ich sollte rasch erfahren, daß sie mit jeder Laune die Farbe wechselten.
    »Herrn Fabian kennen Sie sicher dem Namen nach«, machte uns Westhoff bekannt. »Und das ist«, setzte er mit hörbarer Schadenfreude hinzu, »Fräulein Dr. Cora

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