Die ehrenwerten Diebe
Fantasie-Kostüm, sondern einen schlichten, wenn auch blendend geschnittenen Smoking. Er war Herr und Mann zugleich, sah vielleicht eine Spur zu gut aus, aber womöglich suggerierte mir das bereits die Eifersucht, denn unauffällig, doch auch unübersehbar führte er hier vor, daß er ein geborener Verführer war.
»Gleich überstanden«, raunte mir Myrna Morin zu, und dann war sie schon wieder bei einer anderen Gruppe. Der Hausherr und seine tüchtige Direktrice hatten das Publikum offensichtlich unter sich aufgeteilt: Paul Clement brachte die absolute Mehrheit der Frauen hinter sich – Myrna Morin wurde zu einer Augenweide, abgegrast von männlichen Partygästen. Die Französin hätte sich vermutlich auch in einem billigen Fetzen zeigen können, aber eine Aufmachung mit Bullaugen auf einer gebräunten Haut mußte selbst gesetzten Herren Stielaugen machen.
Jedenfalls war es ein ausgezeichneter Werbeeinfall, die Direktrice mit einem Meisterwerk außerhalb der Kollektion zu bewaffnen, auch wenn sie dadurch ihren Mannequins die Schau stahl.
»Exzellenz«, wandte sich Paul Clement an den Botschafter, »Mesdames, Messieurs«, an seine Gäste. »Isch misch fasse ganz kurz«, begann er in ulkigem Deutsch, »denn spreschen sollen unsere Modelle, nicht aber Worte.« Er bedankte sich artig für die Ovationen und sah mehr unwillig als interessiert zu einer Gruppe Nachzügler, die den Applaus nutzte, um sich in den Silbersaal zu schieben.
»Unsere Maison«, fuhr er fort, »will kreieren eine Mode, die man kann tragen, und auch …«, er hob die Stimme, »… bessahlen.«
In diesem Moment, wie auf ein Stichwort, platzte der Skandal.
Mitten im Satz verlor der Gastgeber das Wort.
Er war nicht mehr lässig und selbstsicher: Fast gewaltsam versuchte er, den gerissenen Faden seiner sorgfältig einstudierten Rede wieder zu finden.
Er starrte mit den glasigen Augen eines angeschlagenen Boxers zum Eingang.
Alle folgten seinem Blick: Eine üppige Blondine trug Myrna Morins Paradekleid.
In der gequälten Stille hörte man die berühmte Stecknadel fallen, die sich hier offensichtlich an den Gesetzen der Haute Couture vergangen hatte.
Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte das Duplikat einfach davonlaufen, aber dann entschloß es sich zur Flucht nach vorne und kam drohend auf das Original zu.
Myrna Morin stand neben mir, starr und stumm wie eine Statue. Selbst das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde zu Stein.
Ihre Rivalin blieb vor ihr stehen. Die beiden fixierten einander. Es sah aus, als würden ihre Handtaschen zu Handwaffen.
Wenn ich den Abend noch retten wollte, mußte ich etwas unternehmen, und so trat ich in die Mitte der unfreiwillig Uniformierten, bot ihnen den Arm und zog die eine und schob die andere gleichzeitig auf den Ausgang zu.
Auf einmal wurde die Stille laut.
Unser Abgang zerteilte Bestürzung und Schadenfreude wie ein Schiffsbug.
Wir retteten uns in die Hotelbar.
»Sicher ein Missverständnis«, beruhigte ich meine zornigen Schützlinge und winkte den Barkeeper herbei.
»Oder ein Diebstahl«, erwiderte Myrna Morin spitz.
»Erlauben Sie mal«, versetzte die üppige Blondine beleidigt. »Ich habe schließlich über zweitausend Mark für diese Robe bezahlt.«
»Zweitausend Mark«, entgegnete die Direktrice verbittert, »dabei stehen wir in den Verhandlungen auf der Basis von siebzigtausend.«
Ich hätte die Begegnung der Damen und ihrer Roben mehr für komisch als tragisch behalten – so als begegnete man am Nordpol einem Neger oder am Äquator einem Eskimo –, aber jetzt begriff ich, daß es sich nicht um einen Operetten-Krieg in Samt und Seide handelte, sondern um handfeste Wirtschafts-Spionage – wieder einmal holte mich mein Metier ein.
Als die Begleiter der unschuldigen Diebin hereinkamen, um sie abzuholen, war sie mit Myrna Morin schon wieder versöhnt und fast ein wenig angefreundet. Man versuchte den peinlichen Zwischenfall als einen Reklamegag hinzustellen, aber der Couturier – er hatte seinen Empfang noch halbwegs über die Runden gebracht – sah nicht so aus, als würde er sich über ihn freuen.
»Merde«, sagte er ganz unstandesgemäß zu seiner Direktrice. »Wenn so etwas wieder passiert, sind wir ruiniert.« Er wandte sich mit einem grimmigen Lächeln an mich: »Pardonnez-moi, Monsieur Fabian.«
Wir gingen essen, und ich schämte mich für meinen Appetit. Paul Clement kaute lustlos auf seinem Steak herum, wiewohl sich Myrna – seine Vertraute, wenn nicht viel
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