Die ehrenwerten Diebe
mich auf einmal, welchem Umstand ich meine reizende Umgebung verdankte: München feierte eine Französische Woche, aber es handelte sich nicht um Wein oder Käse. Heute, am letzten Tag, war die Haute Couture auf dem Laufsteg.
Ich bestellte mir einen zweiten Gin-Tonic, als ein weiterer weiblicher Gast die kleine Bar betrat und eroberte – wiewohl es für eine Neue schwer war, hier noch aufzufallen.
Ihr Haar, mehr kastanienbraun als rot, war modisch geschnitten und wirkte doch natürlich; in der Farbe war es genau auf hellgrüne Augen abgestellt. Sie war ein wenig kleiner und vermutlich auch älter als die Mädchen, die ihr respektvoll Platz machten. Aber beides stand ihr gut. Sie mochte dreißig sein – vielleicht mehr oder auch weniger –, sie stand über den Jahren, sie war zeitlos.
»Bitte, Madame«, sagte das Mädchen neben mir und stieg höflich vom Hocker.
»Danke, Georgette«, antwortete sie und lächelte.
Jetzt erst sah ich ihre Robe, ein indigogrünes Maxikleid, wie eine weltliche Kutte geschnitten, voll sündiger Unschuld, in der Mitte durch einen breiten Gürtel geteilt. Die mexikanischen Motive, mit denen das Kleid bestickt war, sah man erst auf den zweiten Blick, denn zunächst einmal wurden die Augen von Fransenstreifen angezogen, die anstelle von Nähten das geschmeidige Wildleder zusammenhielten und kleine Durchblicke auf die bloße Haut gestatteten.
Vielleicht sah ich zu sehr auf die Robe und zu wenig auf das Gesicht. Wir saßen uns gegenüber. Einen Moment trafen sich unsere Augen. Ich überlegte, woher wir uns kannten. Die schöne Unbekannte lächelte, hob das Glas und sagte: »Santé, Monsieur Fabian.«
Die erste Überrumpelung war gelungen, aber dann war ich am Zug. »Paris«, ergänzte ich, »Weihnachts-Bazar. Im Dezember vorletzten Jahres.«
Sie lächelte. Ihre Augen flammten dabei auf. Einen Moment lang kam mir der törichte Vergleich, eine Verkehrsampel hätte auf Grün umgeschaltet.
»Dann sind Sie die Direktrice des Hauses Clement, Madame …«
»Myrna Morin«, half sie mir. »Wir hatten zusammen ein halbes Glas Champagner, einen Löffel voll Kaviar und zwei, höchstens drei Minuten Konversation.«
»Viel zu wenig, Madame«, erwiderte ich. »Haben Sie Zeit, haben Sie Lust? Können wir unser Gespräch verlängern?«
Sie zögerte ein wenig.
»Aber erst nach der Arbeit«, entgegnete sie. Sie stammte aus Straßburg, war zweisprachig aufgewachsen und sprach wie eine Musterschülerin in der Deutschstunde.
Das Haus Clement war an der Seine fast so bekannt wie Dior und Balenciaga. Ein Geheimtipp tragbarer Eleganz. Der Salon pflegte einen eigenen Stil.
»Eine Kreation Ihres Hauses?« fragte ich und deutete auf die Robe.
»Die Handschrift des Meisters«, antwortete sie. »Monsieur Clements jüngster Entwurf. Eine inoffizielle Premiere. Das Modell ist erst in unserer nächsten Kollektion.«
Dann lud mich Myrna Morin ein zu ihrer Demonstration von Charme und Glamour.
Ich setzte auf einen reizvollen Abend voller Abwechslung, aber diesmal verließ mich mein sechster Sinn, denn ich ahnte nicht, daß ich bereits auf dem Weg in meinen nächsten Fall war.
Der Empfang des Hauses Clement fand im Silbersaal statt. Der Gastgeber stand am Eingang, ließ sich von seinem Pressesekretär Namen und Titel nennen und schmückte sie mit einem hübschen Akzent. Paul Clement war viel mehr ein höflicher Hausherr als ein exaltierter Modezar.
»Eine superbe Idee von Myrna, Sie auf meinen Empfang zu entführen«, begrüßte er mich lachend.
Er war lebhaft und liebenswürdig, wie ich ihn von Paris her kannte. Er hatte für alle einen Händedruck und ein Wort, so daß jedermann meinte, sein Vorzugsgast zu sein.
Der französische Botschafter war eigens aus Bonn gekommen, um dem Empfang den gesellschaftlichen Ritterschlag zu geben; seine Frau trug eine Clement-Robe. Das Publikum war gesiebt, doch gemischt: berühmte Namen mit wenig Geld neben Namenlosen mit dicker Brieftasche. Zwischen Snob und Pop ein paar lustige Witwen und junge Mädchen mit älteren Herren, die gewaltsame Jugendlichkeit wie einen Bauchladen vor sich hertrugen.
Sicher waren nicht alle Gäste nach dem Geschmack des Hausherrn, aber auch ein internationaler Modesalon ist ein geschäftliches Unternehmen und muß sehen, wie es seine Kreationen an die Frau bringt, deren Mann sie zahlt.
Maître Clement machte keine Unterschiede. Er war mittelgroß, pflegte sorgfältig den Kontrast von dunklen Haaren und blauen Augen. Er trug kein buntes
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