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Die ehrenwerten Diebe

Die ehrenwerten Diebe

Titel: Die ehrenwerten Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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vollklimatisierten Konferenzraums so heiß, daß er aus seiner Textilhaut schlüpfte, seine Jacke achtlos über den Stuhl warf, sich die Krawatte herunterriss und wie ein Rosskutscher schimpfte, wiewohl er im Kirchenvorstand saß.
    »Wenn ich an unseren Chefchemiker bloß denke, steigt mein Blutdruck«, sagte er und setzte mit dem erzwungenen Versuch, humorig zu sein, hinzu: »Trotz unserer hervorragenden hypertonischen Präparate.«
    Die streng vertrauliche Besprechung fand im obersten Stockwerk des Miller-Konzerns auf New Yorks exklusiver Park Avenue statt. Während oben der Hausherr feststellte, daß er nicht mehr in der Lage war, seine Bedenken allein mit sich herumzutragen, brodelte unten, durch einen Grünstreifen getrennt, beidseitig der Verkehr durch die Prunk- und Renommierstraße, jagte auf das nur einen Steinwurf entfernte PANAM-Gebäude mit dem Hubschrauberlandeplatz zu, das sich breitbeinig der Blechlawine in den Weg zu stellen schien.
    Das Hauptquartier der bekannten Fluglinie überragte die Chefetage des Miller-Konzerns, aber umsatzmäßig steckten die Miller-Laboratories die PANAM in die Tasche. Alljährlich machten sie Milliarden-Umsätze. In Dollars, nicht in Mark.
    New York war nur der Verwaltungssitz, die Produktionsstätten waren über die halbe Welt verstreut. Der führende Konzern stellte Kunstdünger und Antibabypillen, Tabletten zum Aufputschen und zum Einschlafen her. Er lieferte Selbstbewußtsein aus der Retorte und Schmerzfreiheit aus der Tablettenröhre, aber heute schien er vorwiegend Sorgen zu produzieren.
    »Meine Herren«, begann Präsident Miller, Hauptaktionär und Spitzenmanager in einem. »Genug der Diskretion. Der Fall ist fatal und banal. Ich sehe nicht ein, warum ich Doc Middling noch mit Samthandschuhen anfassen soll, wenn der Skandal auf Cocktailpartys als ein besonders pikanter Happen herumgereicht wird, der uns dann als harter Brocken im Magen liegt.«
    Der Präsident mäßigte die Stimme, schwamm in ruhigere Gewässer. »Also zur Sache. Sie alle kennen Doc Middling. Ein Arbeitstier. Raucht nicht, trinkt nicht. Keine Frauen. Keine Affären. Läuft in abgewetzten Anzügen herum und läßt das nicht gerade wenige Geld, das wir ihm zahlen, auf seinem Konto einfach vergammeln. Ein Mensch, der nur aus Genie, Gift und Galle besteht.«
    Einige Vorstandsmitglieder mußten über diese Charakterisierung lächeln, obwohl es in diesem Hause heute nichts zu lachen gab. Fast jeder der Anwesenden hatte schon einmal einen Zusammenstoß mit dem Chefchemiker gehabt: Er war ein Sonderling. Früher Witwer. Typisch der Mann zwischen 50 und 60, groß, schroff und unnahbar. Ein quadratischer Schädel auf einem exemplarischen Körper. Ein Wissenschaftler und sonst nichts auf der Welt, der einsam im Getto seines Erfolgs gelebt hatte.
    »Meine Herren«, fuhr Präsident Miller fort, »das war einmal. Bei diesem Mann ist die Torschlusspanik hochgeschossen wie eine Stichflamme. Plötzlich pfeift ein Wissenschaftler auf dreißig Jahre Arbeit, vergisst, daß er bereits als Anwärter für den Nobelpreis in diesem Jahr genannt wird, fegt uns die Zusammenarbeit wie Kehricht vor die Füße und geht mit dem nächstbesten Flittchen – verzeihen Sie, meine Herren, daß ich Ihnen den Beruf der Dame ohne Umwege nenne – auf und davon.«
    »Seit wann wissen Sie davon?« fragte einer der Teilnehmer.
    »Seit vier Wochen etwa. Zuerst waren es nur Gerüchte … und Sie kennen ja alle Doc Middling … Er würde es sich verdammt verbitten, daß wir uns in sein Privatleben einmischen …« Er nahm einen Schluck aus dem Wasserglas. »Aber es geht längst nicht mehr um sein Privatleben. Es geht schlichtweg um unser M-Präparat. Unser später Schürzenjäger hat es entscheidend mitentwickelt. Er kennt die Formel, die Möglichkeit der Massenproduktion. Er hat die Versuchsreihe in Puerto Rico angekurbelt. Er ist Geheimnisträger Nummer eins in diesem Haus, und wenn er an falscher Stelle redet, sind zehn Jahre Forschungsarbeit und an die fünfzig Millionen Dollar zum Fenster hinausgeworfen.«
    »Aber das wissen wir doch alle«, warf der Vizepräsident ein. »Die Frage ist: Was können wir tun, Chef?«
    »Wir müssen die FBI-Zentrale alarmieren, und zwar unverzüglich«, erwiderte Mr. Miller. »Schließlich handelt es sich bei unserem M-Präparat auch um eine Erfindung von enormem nationalem Interesse.«
    Es gab eine erregte Diskussion, aber die Abstimmung endete einstimmig.
    Noch am gleichen Tag machten die gewaltigen

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