Die ehrenwerten Diebe
nicht mehr in Rom, sondern auf einem exterritorialen Gebiet des Friedens.
Stehend erwartete uns die Generaloberin.
»Ich komme«, sagte Sandra nach einer typisch italienischen Begrüßung, »um dich um einen ungeheuren Gefallen zu bitten, Zia.«
Zum ersten Mal, seitdem ich sie kannte, machte sie einen unsicheren Eindruck.
Große Augen beherrschten das zeitlose Gesicht der Generaloberin. Ein Firnis von Schwermut schien darüber zu liegen, als sei eine Selbstlose traurig, den Menschen nicht mehr helfen zu können.
Sandra erklärte die Vorgeschichte. Sie sprach italienisch, und ich wunderte mich, wie gut ich sie verstand, aber auch, wie geduldig die Ordens-Regentin zuhörte. Sie hatte vor vielen Jahrzehnten der Hoffart der Welt abgeschworen, aber ein Rest Stolz auf ihre berühmte Nichte war geblieben.
Sandra war am Ende.
Das Schweigen brütete die Absage aus.
»Es geht nicht nur um die Klärung eines abscheulichen Verbrechens«, sagte ich, nur um es zu beenden. »Das M-Präparat bedeutet einen ungeheuren Fortschritt in der Medizin, und …«
»Ich bin Ärztin«, erwiderte die Generaloberin schlicht, und dieser ersten Überraschung schloß sich die zweite an: »Ich will sehen, daß ich euch helfen kann.«
Wir hatten doch einen schlechten Geschmack auf der Zunge, als wir das Gebäude verließen. Schließlich hatten wir eine Gemeinschaft selbstloser Nächstenliebe vorübergehend in eine Spitzelorganistion umfunktioniert.
Es blieb uns kein anderer Weg, und wir konnten nicht einmal hoffen, daß er zum Erfolg führte. Aber die Schwestern von Samaria standen in Operationsräumen, verwalteten Apotheken, versahen Stationsdienst. Sie kannten jeden Vorgang, und sie erfuhren, wenn ein namenloses Medikament erstmals verwendet wurde.
Mitten in der Nacht erreichte uns ein Anruf: ›Ospedale Tutti-santi, Roma‹, ließ uns die Generaloberin mitteilen.
Die heiße Spur führte in das Allerheiligen-Krankenhaus von Rom.
Schlagartig und mit Übermacht fielen wir über die Station II her. Wir brauchten nicht zimperlich zu sein, denn schließlich waren unsere Gegenspieler gemeine Diebe und abgefeimte Mörder. Übrigens hatte uns die Generaloberin noch zwei andere Krankenhäuser aus der Provinz genannt, in denen ein neuartiges namenloses Präparat verwendet wurde.
Auch hier setzte Sam Tebster seine Leute an; diese Spur sollte gewissermaßen die Gegenprobe unserer Ermittlungen sein.
Ich ließ mich als Privatpatient auf Zimmer 11 einweisen. Kreislaufstörungen. Ich simulierte sie schlecht und recht. Wenn ich Sandra in ihrer Nonnentracht ansah, dann brauchte ich kaum mehr viel dazuzutun. Sie leerte Nachttöpfe aus, brachte Tee, hielt Nachtwache und sah dabei unauffällig Oberarzt Dr. Zenetti auf die manikürten Finger.
Er war der Verdächtige. Er verwendete als einziger Arzt des Hauses das anonyme Medikament. Übrigens mit großem Erfolg. Vier hoffnungslose Fälle brachte er auf Anhieb durch; bei einem fünften war die Krise noch nicht entschieden, aber eine Genesung schien sich anzubahnen. Durch diese erstaunlichen Erfolge waren ja die Schwestern von Samaria auf ihn aufmerksam geworden.
Dr. Zenetti war schlank, groß, hatte schüttere Haare und zeigte urbanes Benehmen. Womöglich wußte er gar nicht, was hinter seiner wundersamen Warenprobe steckte.
Aber er war auf jeden Fall das Bindeglied zu den Verbrechern im Hintergrund.
Wir brauchten nur festzustellen, wohin er seine Krankengeschichte lieferte und woher er seine Testsendungen bezog.
Die Aufklärung des Falls nahm Konturen an. Sandra reichte mir das Fieberthermometer, wir waren allein.
»Er arbeitet gerade an seinem Bericht«, raunte sie mir zu. »Ich will versuchen, einen Durchschlag zu stehlen.«
»Ganz was Neues«, alberte ich. »Die diebische Nonne.«
»Sam Tebster hat noch drei Leute hier untergebracht«, sagte sie. »Einen Gärtner, einen beim Krankentransport und einen Hilfspfleger.« Sie fühlte meinen Puls. »Ganz unruhig.«
»Kunststück«, erwiderte ich. »Wie wär's mit einer Siegesfeier?«
»Alles zu seiner Zeit«, versetzte Sandra und rauschte hinaus.
Ich hatte ein wenig zu früh triumphiert.
Entweder war ich ein so schlechter Simulant oder Dottore Zenetti ein zu guter Arzt.
Jedenfalls schlug er zu.
Er kam kurz nach Mitternacht. Nicht allein. Er wurde von drei Pflegern begleitet, die mich für einen renitenten Patienten hielten. Einer preßte mir den Mund zu, die andern hielten mich fest.
Ich wehrte mich verzweifelt und zwecklos. Ich spürte die
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