Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
er. Es lag Unheilschwangeres in der Luft, fand er.
Der Musiker saß an der Theke. Er war mundfaul und trank den besten Wein des Hauses in langen, schlürfenden Schlucken. Seine Haare schulterlang, silbern ergraut, hingen auf seinem roten Seidenschal. Ansonsten trug er existentialistisches Schwarz. Sein Name, Joe de Winter, war garantiert ein Pseudonym, dachte Zurheck und fragte sich, ob dieses Genie nicht später einen Knoten in den Fingern haben würde. Wenn heute Abend irgendetwas schiefging, war er ruiniert. So etwas sprach sich schneller herum als eine Währungsreform.
Nach und nach trudelten die ersten Gäste ein. In Zweier-, Vierer- oder Sechsergruppen. Gut gelaunt, festlich gekleidet. Zurheck half ihnen aus den Mänteln, geleitete sie zu den reservierten Plätzen, zündete die grünen Kerzen an und erkundigte sich nach dem Befinden, dem Betrieb, den Kindern, dem neuen Auto. Offiziell waren der Bürgermeister gekommen und sein Stellvertreter, der Redakteur vom Käseblatt, und jemand vom Lokalradio. Niemand hatte die Einladung ausgeschlagen. Gut so.
Endlich konnte es losgehen. Zurheck trat in den Hintergrund. Der Sommelier erklärte die Weinauswahl, stellte Joe de Winter vor und kündigte als
amuse bouche
Wild-Lachsstreifen in Fetaröllchen mit einem Salatbouquet an. Die Bedienung kam mit den kleinen Vorspeisentellern hereingeweht. Das Besteck klapperte, leises Gemurmel unter den Gästen, hier wurde eine Augenbraue anerkennend hochgezogen, dort schmeckte jemand entzückt nach, man nickte sich zustimmend zu. Im Hintergrund lief dezente Musik vom Band.
Sobald die Teller wieder in die Küche verschwunden waren, kam Joe de Winter von der Theke ins Restaurant geschlurft und schob sich auf einen bereitstehenden Barhocker. Er stellte ein Bein hoch, legte die Gitarre auf ein Knie. Sein Gesicht, halb erleuchtet von der Stehlampe an seiner Seite, sah gespenstisch aus und grau. Er warf seine Haare zurück, schloss die Augen und bewegte seinen Kopf in einem Takt, den er mit einem Fuß schlug.
Das erste Geräusch, das die angespannte Stille zerriss, klang wie Metall über Stein. Die Gäste zuckten zusammen, Zurheck stellten sich die Nackenhaare auf. Es folgten weitere schräge, schrille Tönen in wahlloser Folge, beißenden Disharmonien, dramatische Pausen, dann wieder schrillte blechernes Knirschen in rockiger Lautstärke, das war, das war … Zurheck griff sich an die Kehle, das war Marinas Rache.
Entsetzt sah Zurheck nach seinen Gästen, die konsterniert im Halbdunkeln saßen, während Joe de Winter pünktlich nach den vereinbarten zehn Minuten seine Gitarre auf den Boden stellte, zurück zu seinem Platz an der Theke schlurfte und nach seinem Glas griff.
Die Gäste räusperten sich, klatschten höflich aber verhalten. Zurheck bebte vor Zorn. Aber, wenn er keinen Eklat wollte, und den wollte er um jeden Preis vermeiden, musste er sich zurücknehmen. Flüsternd beschwor er Winter bei seinem nächsten Einsatz um gängigere, friedliche Melodien. Winter nickte gleichgültig.
Den zweiten Gang – Kürbis-Blutorange-Suppe mit Ingwerschaum – schienen die Gäste betont langsam zu löffeln, wie um die Pause vom Musiker zu strecken.
Winter sah überhaupt keine Veranlassung, bei seinem nächsten Auftritt Zurhecks Wünschen nachzukommen. Nachdem er mit seiner Folter zu einem Ende gekommen war, trat Zurheck an ihn heran, dankte ihm flüsternd für seine Mühen, aber wie er wohl selbst bemerkt habe, sei es besser, hier seine Konzert zu beenden. Er und das Publikum fänden anscheinend nicht den gleichen Ton. Er bedaure, könne ihm unter diesen Umständen natürlich nicht das volle Honorar zahlen. Ob er mit einer Minderung von zehn Prozent einverstanden sei. Winter nahm das Geld ohne Widerworte an, packte seine Gitarre und verließ den Raum.
Seinen Gästen erklärte Zurheck das frühe Ende der musikalischen Veranstaltung mit einer dringenden Abberufung des Musikers – aus privaten Gründen. Ein Notfall habe ihn erreicht. Seine Mutter sei ins Krankenhaus gekommen.
Zurheck rieb sich die Hände. Welch elegante Lösung. Der Abend war gerettet. Wenn Marina glaubte, ihn auf diese Weise ruinieren zu können, musste er sie enttäuschen. Einen Zurheck warf man nicht so schnell aus der Bahn. Er war bisher noch mit allem fertig geworden.
Die Hauptspeise wurde hereingetragen. Rehmedaillons an Steinpilzragout auf Bärlauchpesto. Im Hintergrund lief leise klassische Klaviermusik vom Band, während die Gäste sich mit spürbarer
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