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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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über die Ohren abgezogen wurde.
    Allerdings wurden die kleinen Loser nie verspeist. Sondern verschenkt, was Margit persönlich immer eine Verschwendung fand. Ich übrigens auch.
    Züchter sind oft erstaunlich zart besaitete Wesen. Manche verschenken die ausgesonderten Exemplare sogar lebend, weil sie es nicht schaffen, ihre Lieblinge zu schlachten.
    Aber Margit war kein Züchter.
    Sie musste für den Hochzeitsabend alles gut durchdacht haben, vielleicht sogar mit viel Liebe.
    Natürlich hat sie ein Prachtexemplar ausgesucht, das für zwei reichte. Sicher hat sie ihm vorher prüfend in die Breitseiten gekniffen, ob sich bei ihm die unangenehme Prozedur und das Risiko eines Ehekraches lohne. Die Wahl war auf den Belgischen Riesen gefallen, der in der letzten Box hockte.
    Ob sie wusste, dass er zu den besten Pferden im Stall gehörte? Wenn nicht das Beste überhaupt war? Obwohl es ein Kaninchen war. Ich behaupte: Ja, sie wusste es! Es gehörte zu ihrem Spiel. Wenn schon, denn schon, wird sie gedacht haben. Ihr hat an diesen Kaninchen nie viel gelegen.
    Nachdem Tom also gestern Vormittag seine Kaninchen versorgt hatte und zur Spätschicht abgezogen war (er arbeitete bei der Post), hatte Margit ihm wohl wenig später dieses große Plüschtier in die Box gesetzt, in der normalerweise das saß, was bei ihr schon auf der Küchenarbeitsplatte gelandet war.
    Ein Plüschtier von hoher Ähnlichkeit, weiß bis auf die schwarzen Ohren und ein paar schwarze Punkte verstreut über den großen Körper. Sie hatte sicher nicht wenige Spielzeugläden dafür abklappern müssen. Und ich frage mich, ob dieser Plüschhase nicht teurer war als ein echter. Ich weiß es nicht. Vielleicht ging es auch gar nicht ums Geld, sondern ums Prinzip.
    Egal, zurück zu gestern Abend:
    Den Rücken in vier Teile zerlegt, die Hinter- und Vorderbeine daneben drapiert, kam jener Belgische Riese wahrscheinlich gerade aus dem Ofen, wo Margit bei mäßiger Hitze die Flüssigkeit hatte ausdampfen lassen, bis das Fleisch einen leicht milchigweißen Schimmer hatte. Sie salzte es, betupfte es mit Olivenöl, als die Tür zur Küche aufgestoßen wurde.
    »Feierabend!«
    Das sagte Tom immer, wenn er heimkam. Er warf auch immer seine Tasche auf die Küchenbank. Er wird Margit geküsst haben und umarmt, natürlich, es war ihr Hochzeitstag: Aber wie ich die beiden kenne, haben sie sich ihre Geschenke noch aufgehoben, um die Sache spannend zu machen.
    Normalerweise sah er immer sofort nach seinen Kaninchen. Zu Margits Leidwesen. Aber gestern Abend hat er das ihr zuliebe bestimmt ausfallen lassen, ich könnte wetten. Er hat es ihr sogar vorher versprechen müssen.
    Als er seinen Kopf auf ihre Schultern legte und von dort hinunter auf die Backform schielte, musste er sofort erkannt haben, dass es sich bei dem Fleisch um ein Kaninchen handelte.
    »Woher hast du das Fleisch?«
    Sie hätte ihm sagen können, Ausschuss von einem seiner Züchterkollegen, aber er hätte nicht länger geruht, bis er gewusst hätte, von wem und warum. Was hatte sie dafür tun müssen? Sein ewiges Misstrauen.
    »Vom Supermarkt«, wird sie stattdessen gesagt haben. »Es war ein Angebot.«
    Hat er ihr das geglaubt? Ich denke, da werden sich schon allererste Zweifel bei ihm gemeldet haben.
    Sie schob die Backform in den Ofen und stellte den Wecker. »Es ist unser Hochzeitstag, oder? Da muss man sich doch mal was gönnen. Also los, jetzt machen wir uns schön.«
    Als sie wenig später zusammen die Treppe herunterkamen, war noch genügend Zeit für die Geschenkübergabe.
    Er freute sich über die Bücher und überreichte ihr im Gegenzug einen großen, flachen, weißen Karton mit einer roten Schleife. In Seidenpapier gehüllt fand sie darin das granatrote Kleid, von dem sie mir vorgeschwärmt hatte. Ich hatte Tom den entscheidenden Tipp gegeben.
    »Ich denke, wir sind pleite.«
    »Es ist unser Hochzeitstag, oder? Da muss man sich doch mal was gönnen. Also los, zieh es an!«
    »Jetzt?«
    »Ja, natürlich.«
    »Das Essen wird kalt.«
    »Ach was. Es steht alles im Ofen.«
    Ich nehme stark an, dass er – während Margit sich umzog – schnell in den Hof gelaufen ist, um nach seinen Kaninchen zu sehen. Ich gehe weiterhin davon aus, dass ihm der reg- und leblose einzige nicht mümmelnde Plüschhase nicht entgangen war. Natürlich verschlug ihm dieser Anblick den Appetit. Aber er hat den Schein gewahrt, den Abend gerettet, zunächst, weil er nicht sofort wusste, was er tun würde, sollte, musste. Er musste

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