Die Eifelgraefin
und roch den beißenden Gestank von Schweinemist. Eine Hand hatte sie fest um das silberne Kruzifix geschlossen; seine Wärme fühlte sich tröstlich an. Ihre Gedanken kreisten jedoch unablässig um Elisabeth und Johann, um Roland, der so weit fort war, und um ihre Familie, die auf dem Kirchhof in Blasweiler begraben lag. Ihr Herz fühlte sich gänzlich kalt und taub an; immer wieder wurde sie von Krämpfen geschüttelt, doch weinen konnte sie nicht.
Je weiter die Nacht voranschritt, desto unruhiger wurde sie. Immer wieder wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, doch Schlaf fand sie keinen. Als schließlich die nächtliche Dunkelheit der grauen Morgendämmerung wich, fasste sie einen Entschluss. Noch bevor der Hahn im Verschlag nebenan sein erstes Krähen ausstieß, war sie auf den Beinen, zog sich ein schlichtes Arbeitskleid über und ging hinüber zum Gesindehaus.
***
«Was tust du hier, Luzia?» Elisabeth war aufgeschreckt, als sich die Tür öffnete, und starrte ihre Magd nun erschrocken an. «Geht es dir nicht gut?»
Luzia kam auf sie zu und schüttelte gleichzeitig beruhigend den Kopf. «Nein, Herrin, mit mir ist alles in Ordnung.»
«Dann geh sofort wieder hinaus!»
«Nein, Herrin, ich bleibe bei Euch. Ich kann Euch hier nicht allein lassen. Und vielleicht …» Sie tastete nach dem Kruzifix, welches sie unter ihrem Kleid verborgen trug. «Vielleicht kann ich ein bisschen helfen.» Schaudernd sah sie sich in dem noch immer finsteren Raum um. «Wie grauenhaft. So habe ich mir immer die Hölle vorgestellt.»
Elisabeth nickte. «Aber was ist mit deinem Bruder? Um ihn solltest du dich kümmern. Das ist doch viel wichtiger.»
«Ihm geht es ganz gut», erwiderte Luzia. «Er ist bei Thea in der Küche. Ich musste den Palas verlassen. Simon hat verboten, dass jemand, der mit Kranken in Kontakt war, noch einmal das Wohnhaus betritt. Er war sehr wütend, als er gehört hat, dass Ihr hier seid, Herrin. Und er hat gesagt, dass er sofort einen Boten zur Küneburg schicken wird.»
Elisabeth verzog gequält die Lippen. «Das hatte ich schon befürchtet. Mutter wird außer sich sein, wenn sie es erfährt. Aber …» Sie blickte auf Johann hinab, der noch immer vor sich hindämmerte und den Kopf unruhig von einer Seite zur anderen rollte. «Ich kann nicht anders.»
Luzia nickte bedrückt. «Ich weiß. Wenn ich gewusst hätte, dass meine Eltern und meine Schwester erkrankt sind …» Sie schloss kurz die Augen. «Ich wünschte, ich wäre früher zu ihnen gegangen.»
«Du hättest ihnen nicht helfen können, Luzia.»
«Nein, wahrscheinlich nicht. Aber Ihr könnt Herrn Johann auch nicht helfen. Dennoch seid Ihr hier.»
«Ist Bruder Georg sehr zornig auf mich?»
«Nein, Herrin.» Luzia schüttelte den Kopf. «Aber er hat Angst um Euch.»
«Ich weiß. Auch ich habe große Angst.» Verzagt ließ Elisabeth den Kopf hängen. Als sie ihn wieder hob, standen Tränen in ihren Augen. «Was soll werden, wenn er …» Sie brach ab und legte ihre Hand über die von Johann. «Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll!» Sie hielt inne. «Was ist das da unter deinem Kleid, Luzia?»
Luzia zog an der Silberkette und holte das Kruzifix hervor. «Es summt nicht mehr, Herrin. Ich wollte es nicht oben in Eurer Schlafkammer lassen, deshalb habe ich es mitgebracht. Fasst es einmal an. Es ist ganz merkwürdig.»
Elisabeth berührte das Kreuz leicht mit den Fingerspitzen, dann nahm sie es ganz in die Hand. «Wie seltsam!» Eine Weile spürte sie der Wärme nach, die von der Reliquie ausging. «Fast könnte man meinen, es habe einen Herzschlag, nicht wahr?» Sie ließ das Kruzifix wieder los und erhob sich. «Es ist gut, dass du es mitgebracht hast. Ich fühle mich jetzt ein wenig besser.» Seufzend sah sie sich in dem düsteren Raum mit den verschlossenen Fenstern um. «Es ist grässlich hier. Und dieser Schmutz! Überall Ratten und Mäuse.»
«Ich könnte einen Besen holen und das alte Stroh hinauskehren», schlug Luzia vor. «Bestimmt bekommen wir neues aus der Scheune.»
Elisabeth nickte, sagte dann aber: «Nein, Luzia. Keinneues Stroh. Darin kann sich das Ungeziefer nur weiter verstecken. Wenn wir den Boden blank lassen, lässt er sich auch viel leichter sauber halten.»
***
Schwerfällig erhob sich Bruder Georg und verbeugte sich ehrfürchtig vor dem kleinen Altar mit dem Holzkreuz und der Marienfigur. Die Kerzen, die er und Luzia am Vortag entzündet hatten, waren längst heruntergebrannt. Seine Knie
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